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Vena

Geschrieben von Peter Gutting am 7. Oktober 2024

Jenny (Emma Nova) ist glücklich mit ihrem Freund Bolle (Paul Wollin). Zum ersten Mal seit langem lebt die instabile junge Frau wieder in einer festen Beziehung. Auch die gemeinsame Drogensucht festigt die Liebe der beiden. Doch selbst das euphorisierende Crystal Meth kann die dunkle Wolke nicht vertreiben, die über Jenny schwebt. Jeden Tag könnte ein Brief in der Post liegen, der der ungeplant Schwangeren den Termin ihres Haftantritts nennt. Jennys Mutter Renate (Barbara Philipp) und das Jugendamt machen sich große Sorgen. Doch erst der Hebamme Marla (Friederike Becht) gelingt es, Jennys Vertrauen zu gewinnen. Das gegen den Strich gebürstete Sozialdrama von Chiara Fleischhacker bricht mit den üblichen Klischees. Es zeigt eine Frau, die im Annehmen der Mutterrolle über sich hinaus wächst. Für das sensible Debüt gab es den „First-Steps“-Award in der Kategorie „Abendfüllender Spielfilm“.

„Was willst du denn von Sucht wissen“, pflaumt Jenny ihre Hebamme Marla an, als diese die Wahrheit über die werdende Mutter herausfindet. Doch Marla hat Abhängigkeit am eigenen Leib erfahren, sie litt unter Magersucht, Sportsucht und Esssucht. Deshalb verurteilt die Geburtshelferin ihre Klientin nicht. Sie begegnet ihr auf Augenhöhe, fast wie eine gute Freundin. Ihre Haltung gleicht der des Films: nicht besser wissen, sondern verstehen wollen. „Vena“ spielt im Titel auf die Vena umbilicalis an, die Nabelschnurvene, die das Ungeborene mit sauerstoffreichem Blut und Nährstoffen versorgt. Die Vene steht für Bindung, nicht nur zwischen Mutter und Kind, sondern auch zwischen Erwachsenen und vielleicht sogar zwischen Publikum und Identifikationsfigur.

Regisseurin Chiara Fleischhacker geht bei ihrem Spielfilmdebüt von zwei entgegengesetzten Polen aus. Zum einen von ihren eigenen Erfahrungen als frischgebackene Mutter, die in die Arbeit am eigenen Drehbuch einflossen. Zum anderen von einer Recherche, die sich über zwei Jahre erstreckte: Gespräche mit Frauen in Suchteinrichtungen und in Haft, mit Betreuern aus der Kinder- und Jugendhilfe, mit Eltern von Suchtkranken, mit Therapeuten. Aus verschiedenen Anteilen realer Personen entstanden so die fiktive Figur Jenny und ihr Umfeld.

Aber die Regisseurin tat gut daran, es nicht beim dokumentarischen Unterbau zu belassen, sondern ihrer Figur und dem ganzen Film dezent dosierte und dadurch umso wirkungsvollere poetische Glanzlichter aufzusetzen. Etwa wenn Jenny ihre geliebten Orchideen pflegt oder wenn das Paar seine Wohnung mit zugezogenen Vorhängen in einen Sternenhimmel verwandelt. In vielen Groß- und Detailaufnahmen schaut die Kamera von Lisa Jilg (Michael-Ballhaus-Preis bei „First Steps) genau hin. Und kreiert mitten im rau-realistischen Look des Films eine Liebe zu Details, die eine gegenteilige Geschichte zu Sucht und Verfall erzählen, nämlich die von einer herben Zärtlichkeit für die Figuren.

In seiner Sympathie für eine ambivalente Hauptfigur erinnert „Vena“ an „Monster im Kopf“ (2023) von Christina Ebelt. Beide teilen zugleich dasselbe Anliegen: Auf den Missstand aufmerksam zu machen, dass es zu wenig Mutter-Kind-Plätze in deutschen Haftanstalten gibt und dass den Frauen die Babys nach der Geburt weggenommen werden, falls sie keinen solchen Platz bekommen. Beide Filme werden von überzeugenden Hauptdarstellerinnen getragen, nur die Grundproblematik ist eine andere. Während die Figur von „Monster im Kopf“ mit einer Aggressionsstörung ringt, muss Jenny einen Weg aus der Sucht finden, wenn sie ihrer Tochter keinen bleibenden Schaden zufügen will.

Nicht alles in „Vena“ wird ausbuchstabiert. So bleibt zum Beispiel unklar, für welches Vergehen Jenny überhaupt ins Gefängnis muss – und für wie lange. Selbst Marla, ihre Helferin und Freundin, fragt nicht danach. Wie schon in der Frage der Sucht steht Marla auch hier für die diskret-respektvolle Haltung des Films. Die Leerstellen bewirken, dass sich das Publikum seine je eigene Erklärung zurechtlegt – und sich dadurch noch stärker in die junge Frau einfühlt, die über ihre Vergangenheit lediglich sagt: „Ich habe viel Mist gebaut“. Dank der Kunst des Weglassens umschifft der Film auch die Falle der Sentimentalität, die normalerweise bei einer Geschichte wie dieser droht. Stattdessen hält er sich in emotionalen Fragen an jene kleinen Details, die hier so wunderbar unverbraucht daherkommen.

„Vena“ erzählt von einer drogensüchtigen Schwangeren, die ihr Kind im Gefängnis bekommen wird. Regisseurin Chiara Fleischhacker inszeniert ihr Debüt mit großem Feingefühl und starken Darstellern, die ihre Figuren über Schwarzweißmalerei hinausheben und als komplexe Menschen nahe bringen.

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Wir vergeben daher 8,0 von 10 Filmpunkten.

Copyright: Neue Bioskop Film, Lisa Jilg

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Länge: 115min

Kategorie: Drama, Sozialdrama

Start: 28.11.2024

cinetastic.de Filmwertung: (8,0/10)

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Info

Vena

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 115min
Kategorie: Drama, Sozialdrama
Start: 28.11.2024

Bewertung Film: (8,0/10)

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