Fabian Stumm ist seit knapp 20 Jahren als Schauspieler in Theater, Film und Fernsehen unterwegs. Als Regisseur landete er mit seinem Langfilmdebüt „Knochen und Namen“ einen Überraschungserfolg auf der Berlinale. Gut ein Jahr später hatte er schon seinen zweiten Spielfilm „Sad Jokes“ fertig, für deutsche Verhältnisse ein Rekordtempo. In der Komödie spielt er auch selbst die männliche Hauptrolle, nämlich den Filmregisseur Joseph, der seinen zweiten Film vorbereitet. Zugleich steckt er privat in einer schwierigen Phase. Die Trennung von Marc (Jonas Dassler) hat er immer noch nicht überwunden. Und Sonya (Haley Louise Jones), seine beste Freundin, mit der er zusammen den kleinen Pino (Justus Meyer) großzieht, muss für zwei Monate in eine Klinik, um ihre schwere Depression zu therapieren. Mit der reinen Inhaltsangabe ist der Film allerdings nur grob umrissen. Er glänzt vor allem durch seine episodenhaften Einlagen, die ganz unterschiedliche Tonlagen kennen und immer auch das reale Leben mit Tragikomik in sich aufsaugen. Auf dem Filmfest München, wo „Sad Jokes“ Premiere feierte, sprachen wir mit Fabian Stumm über die Widersprüche der deutschen Filmbranche, sein Faible für Leichtigkeit und seinen Wunsch, das Publikum zum Mitdenken zu animieren.
Kann man sagen, dein zweiter Spielfilm beschäftigt sich damit, wie es ist, einen zweiten Spielfilm zu drehen?
Er ist eine Mischung aus vielen Elementen. Es gibt einen Unterbau der Angst, die einem gemacht wird. Mich haben viele Leute gewarnt, wie schwierig der zweite Film werden würde. Das Sprungbrett in die Geschichte war allerdings die Tatsache, dass ich mit meiner besten Freundin zwei Kinder mit großziehe. Es sind nicht meine leiblichen Kinder, das ist der Unterschied zum Film, wie sowieso alles sehr fiktionalisiert ist. Nach der unerwarteten Aufmerksamkeit für mein Regiedebüt „Knochen und Namen“ war ich viel unterwegs und habe dabei auch geschrieben. Ich merkte, dass es mich sehr reizt, meine Position als Filmemacher und Autor weiter auszubauen. Zugleich war klar, dass sich dadurch einiges in meinem Alltag verändert, vor allem die Frage, wie viel Zeit ich für die Kinder aufbringen kann. Diese beiden Themen haben sich sehr schön vermischt. Das eine ist ernst, besonders wenn im Film die Mutter der Kinder ausfällt, weil sie unter einer schweren Depression leidet. Und das andere ist eine liebevoll-ironische Auseinandersetzung mit dem Druck als Filmemacher, wenn Leute einem ungefragt Ratschläge geben und Angst machen. Nach dem Motto: Zieh‘ dich warm an.
Es gibt in „Sad Jokes“ einen Regisseur, das ist der von dir gespielte Joseph. Und es gibt einen Produzenten, gespielt von Godehard Giese. Der findet Josephs Komödien-Drehbuch nicht lustig, was wohl das schlimmste ist, was man über eine Komödie sagen kann. Hast du diese tragikomische Auseinandersetzung mit einem Produzenten selbst erlebt oder von anderen erzählt bekommen?
Nein, es ist eine spielerische Fantasie über das Worst-Case-Szenario. Davor habe ich mich gegruselt, dass Leute, die meinen ersten Film toll fanden, beim zweiten sagen: Das geht überhaupt nicht.
Aber hat die Szene nicht doch eine Fundierung in der Wirklichkeit? Produzenten haben eine Machtstellung und können es sich erlauben, geschmäcklerisch und dilettantisch nach eigenem Gusto etwas gut oder schlecht zu finden.
Sagen wir mal so: Es gibt aus den Gesprächen, die ich hatte, kleine Momente, die da hineingeflossen sind. Ich meine das nicht bösartig, sondern möchte aufzeigen, wie widersprüchlich die Reaktionen manchmal sind. In der Branche wurde „Knochen und Namen“ als ungewöhnlich und erfrischend anders gelobt. Wenn es aber darum ging, den zweiten Film auf die Beine zu stellen, hieß es oft, dass man sich an Regeln halten müsse und dass das Publikum dieses und jenes garantiert nicht verstehen werde. Ich fand es spannend und traurig, dass sich niemand traute, den Weg weiterzugehen, den ich mit „Knochen und Namen“ eingeschlagen hatte. Ich kenne viele Regisseurinnen und Regisseure und weiß von ihnen, dass es oft einige Jahre bis zum nächsten Film dauert, weil so viele Leute mitreden und dem Publikum zu wenig zugetraut wird. Das habe ich auch am eigenen Leib erfahren und mir dann gesagt, ich produziere den zweiten Film lieber wieder selbst, so wie den ersten. Dann kann ich meine Idee so umsetzen, wie ich das möchte.
Der Produzent im Film redet ganz ehrfurchtsvoll von der Komödie. Sie sei das schwerste Genre von allen. Wolltest du dir mit „Sad Jokes“ beweisen, dass du das kannst?
Nicht, um es zu beweisen. Sondern weil ich überrascht war, wie viele Leute Freude an den leichten Momenten von „Knochen und Namen“ hatten und wie viel da gelacht wurde. Das hat mich kurzverwundert, weil mir das vorher nicht ganz bewusst war. Aber es ist toll, wenn der Film ein Eigenleben gewinnt und mich dann Dinge verstehen lässt, die ich vorher so nicht wusste. Wenn man mich früher gefragt hätte, wie meine Filme aussehen würden, wenn ich mal welche drehe, dann hätte ich gesagt, dass alles ganz dramatisch, düster und still wäre. Jetzt habe ich gemerkt, dass ich doch viel stärker geprägt bin von den ganzen Komödien der Filmgeschichte, die ich so liebe, angefangen von Ernst Lubitsch und Charlie Chaplin bis zu Billy Wilder und den humoristischen Filmen von Helmut Käutner. Je älter ich werde, desto mehr reizt mich die Mischung, profunde Themen mit Leichtigkeit zu präsentieren.
Du hast die Finanzierung schon angesprochen. Stimmt es, dass du eigenes Geld investiert hast?
Nicht nur ich, sondern auch meine drei Ko-Produzentinnen Nicola Heim, Nele Schallenberg und Wiebke Wesselmann. Das sind enge Freundinnen, die auch in der Filmbrache arbeiten und an mich geglaubt haben. Nach „Knochen und Namen“ ist ein Narrativ entstanden, ich sei überall bei den Förderungen durchgefallen und hätte deshalb selbst produziert. Das war keineswegs so und ist auch beim neuen Film nicht so. Wir haben damals von vornherein keine Fördergelder beantragt und auch jetzt nicht, weil wir wussten, wie lange ein solcher Prozess dauern würde. Mir war es wichtig, möglichst bald den zweiten Film zu realisieren, um auch klar zu machen, dass ich weiter in diesem Beruf arbeiten möchte und das ernst nehme. Ich bin ja nun mal Quereinsteiger und habe den Beruf nicht an der Filmhochschule gelernt. Jetzt, nach dem zweiten Film, merke ich, dass ich in Zukunft die Dinge ruhiger angehen kann, vielleicht auch mit ein bisschen Förderung.
Die Erzählstruktur ist eher locker. Der Film wird vor allem getragen durch Episoden, die zum Teil mit starrer Kamera und wenig Schnitt gefilmt sind, aber den Schauspielern viel Freiraum geben. Gerade in der zweiten Szene könnte man auf die Idee kommen, der Kameramann habe sein Gerät laufen lassen und sei dann einen Kaffee trinken gegangen. Warum hast du dich für diese Struktur entschieden?
Für mich hat die von dir angesprochene Szene etwas Voyeuristisches. Ich wollte, dass die Kamera durch eine offene Tür schaut. Das Publikum beobachtet Leute in einer Küche und braucht eine Weile, um die Dynamik zwischen ihnen zu verstehen. Das Ensemble, das das gespielt hat, fand das eine tolle Idee, hatte aber auch Respekt davor, acht oder neun Minuten ohne Schnitt durchzuspielen. Mir gefällt sehr, wie die Szene geworden ist, weil man nicht weiß, ob man etwas sieht, das man gar nicht sehen soll, oder ob das so gewollt ist. Es erfordert etwas Geduld, sich da hineinzufinden. Aber wenn man die Geduld aufbringt, ist man auch wirklich drin im Film.
Es gibt eine Handlung, die sich lose durchzieht, aber auch Szenen, die episodenhaft für sich stehen. Hat sich das im Schnitt so ergeben oder war das von vornherein so gesetzt?
Mich reizt es in der jetzigen Phase meiner Regietätigkeit, den Zuschauerinnen und Zuschauern eine gewisse Arbeit zu überlassen. Ich finde es spannend zu fragen: Welches sind die allernötigsten Hinweise, die man geben muss, um eine Geschichte und ein Konstrukt von Charakteren zusammen zu fügen? Wo ist Eigeninitiative gefordert? Und was passiert, wenn ich bestimmte Dinge bis zum Ende nicht wirklich verstehe? Zum Beispiel wird nicht klar, was der Grund für die Depression der Mutter ist. Ich habe zwar mit Haley Louise Jones, die die Figur spielt, darüber gesprochen, es aber bewusst aus dem Drehbuch wieder herausgestrichen. Mich interessiert, dass man Schattierungen eines Charakters sieht, aber nicht das Gesamtbild. Das muss man sich selber bauen. Die Lücke führt dazu, dass man ganz anders über die Figuren nachdenkt und viel mehr darüber diskutiert. So wird es mir jedenfalls gespiegelt. Zwar arbeite ich auch an Büchern, die dramatisch geschlossener sind. Aber im Moment passt es zu mir als neuem Filmemacher, Geschichten zu konstruieren, die freier, fließender und interaktiver sind.
Du bist selbst Schauspieler, kennst viele Schauspieler und die, die bei dir mitspielen, sind gute Freundinnen und Freunde. Wie muss man sich die Arbeit am Set vorstellen? Wie eine Art Klassentreffen?
Wir sind sehr warm miteinander, aber vor allem wahnsinnig konzentriert. Wir haben viele Vortreffen, wir lesen, diskutieren. Wir proben nie, das ist mir sehr wichtig. Mich interessiert das gelebte Leben vor der Kamera. Aber wir sind gut vorbereitet, weil alle wissen, dass ich nicht viele Takes mache. Am Set herrscht eine große Ruhe, nur in den Pausen wird gequatscht und gelacht. Ich genieße das große Einverständnis, das da herrscht. Alle schauen in dieselbe Richtung, man muss niemanden antreiben. Dadurch überziehen wir die Drehpläne nicht. Bei „Sad Jokes“ waren wir sogar einen Tag früher fertig. Ich mag es, wenn man ein gewohntes Ensemble hat, auf das man sich verlassen kann, und trotzdem auch immer mal jemanden Neuen einlädt. Gerade komme ich mit Kolleginnen in Kontakt, von denen ich früher nur hätte träumen können, die aber jetzt meine Arbeit toll finden und Lust haben, dabei zu sein.
Wie wichtig ist es dir, dass alles ganz leicht wirkt, obwohl doch das Drehbuch sehr ausgefeilt sein musste, um diese langen, schnittlosen Sequenzen hinzukriegen?
Mich interessiert es, Filme zu machen, die das Publikum nicht anspringen, sondern einem die Möglichkeit geben, sich ihnen im eigenen Tempo anzunähern. Außerdem bin ich ein bisschen müde von einer gewissen Lautstärke in Filmen der letzten Jahre. Die Rückbesinnung auf die leisen Töne finde ich nicht unwichtig in unserer lauten Zeit.
Es gibt eine besonders herausragende Szene, in der eine schwedische Zeichenlehrerin, die eigentlich Schauspielerin werden wollte, einen Monolog aufsagt, den sie vor langer Zeit einstudierte. Dabei ist sie plötzlich ganz in der Rolle und scheint zugleich ihr eigenes Leben in diesen Text einzubringen. Was ist da passiert?
Das war ein rarer Moment der Magie, den ich in dieser Intensität noch nicht erlebt habe. Ulrica Flach, die die Zeichenlehrerin spielt, habe ich auf der Schauspielschule kennengelernt. Ich war 19, sie 27. Wir waren zusammen am Lee-Strasberg-Institut in New York. Alle sagten, Ulrica wird eine große Karriere machen, wenn sie nach Schweden zurückgeht. Sie ist zwar dem Theater treu geblieben aber so ganz hat sich das nicht eingelöst, was natürlich vielen so geht. Wir hielten Kontakt, haben uns seitdem aber nicht mehr gesehen. Als ich das Drehbuch schrieb, kam mir der Monolog aus der Johanna von Orléans wieder in den Sinn, den sie damals auf der Schule einstudiert hatte und von dem alle immer sehr ergriffen waren. Ich habe die Figur der Elin also ganz bewusst für Ulrica geschrieben. Für den Monolog der Johanna gab ich ihr keine Regieanweisung, außer dass ich ihr sagte, das mit der Schauspielerei ist eine Sehnsucht der Figur, die sich nie erfüllt hat. Schau‘ einfach, was passiert, wenn du in dieses sehr alte Gefühl reingehst.
Warst du nervös, als du den Film hier auf dem Filmfest München zum ersten Mal vor Publikum gezeigt hast? Oder warst du dir sicher, dass er lustig ist?
Ich hatte wirklich Panik. Stell‘ dir vor, niemand hätte gelacht im vollgefüllten Premierensaal. Aber nach ein paar Minuten habe mich umgeschaut und gemerkt: okay, das funktioniert. Es war eine wunderschöne Vorstellung. Man muss dazu wissen, dass es bei „Knochen und Namen“ keinerlei Erwartungen gab. Natürlich war es ein Traum, dass wir auf die Berlinale eingeladen wurden, und natürlich war ich aufgeregt. Aber es war eher eine freudige Erregung, weil es keinerlei Druck gab. Aber jetzt, bei meinem zweiten Film, waren die Erwartungen ungeheuer hoch, es gab viele Vorschusslorbeeren.
Wie geht es für dich weiter? Wirst du nun Vollzeit-Regisseur oder wirst du auch weiterhin Rollen in fremden Filmen annehmen?
Ich will auf jeden Fall weiter spielen. Dafür gibt es eine Reihe von Anfragen und Angeboten. Als Regisseur und Drehbuchautor habe ich vier Projekte in Vorbereitung und Planung. Im Winter drehen wir, wenn es klappt, meinen dritten Film. Er soll „Halbzeiten“ heißen und ist ein Beziehungskonstrukt mit Marie-Lou Sellem, Katharina Linder, Romina Küper und mir. Danach sind drei weitere in der Entwicklung, mit unterschiedlichen Genres. Da ist zum Beispiel ein Noir-Rache-Thriller mit dabei, den ich für Anneke Kim Sarnau geschrieben habe und der in Frankfurt spielen soll. Außerdem gibt es die Geschichte einer Wunderheilung, sie heißt „Die Entfernung“ und ich will sie mit Anne Haug und Thomas Prenn umsetzen. In allen Filmen werde ich auch selbst Rollen übernehmen, mal eine größere und mal eine kleinere. Das ist eine neue Freiheit, die mir gut tut.
Zur Person:
Fabian Stumm wurde 1981 in Koblenz geboren. 2001 zog er nach New York und studierte am „Lee Strasberg Theatre & Film Institute“ Schauspiel. Zurück in Deutschland, arbeitete er als freier Schauspieler und war unter anderem am HAU (Hebbel am Ufer), bei den Münchner Kammerspielen, der Volksbühne Berlin, in „The Kitchen“ (New York) und der Tate Modern London zu sehen. Zu seinen Film- und TV-Arbeiten zählen „Lore“ von Cate Shortland, „Bela Kiss“ von Lucien Förstner, „Ivie wie Ivie“ von Sarah Blaßkiewitz und die Serien „Druck“ und „Oh Hell“. Als Regisseur und Drehbuchautor drehte er 2020 den Kurzfilm „Bruxelles“, sein Regiedebüt. 2021 folgte „Daniel“, der auf dem Achtung Berlin Festival 2022 als bester mittellanger Film ausgezeichnet wurde. Sein Spielfilmdebüt „Knochen und Namen“ feierte 2023 auf der Berlinale in der Perspektive Deutsches Kino Premiere und gewann den Heiner-Carow-Preis.