Das Jahr 1800, in der Nähe von Venedig: Die junge Waise Teresa (Galatéa Bellugi) lebt im klösterlichen Kollegium Sant Ignazio, zusammen mit vielen anderen elternlosen Kindern, Mädchen und jungen Frauen. Anders als die von ihr bewunderten Streicherinnen Lucia (Carlotta Gamba), Bettina (Marietta Prudenza), Marietta (Maria Vittoria Dallasta) und Prudenza (Sara Mafodda) bekommt die hochtalentierte Teresa keinen Musikunterricht. Sie muss als Magd arbeiten. Doch dann entdeckt Teresa ein im Keller verstecktes Klavier, ein damals ganz neues Instrument, das Kapellmeister Perlina (Paolo Rossi) den Mädchen vorenthält. Heimlich treffen sich Teresa und die vier anderen jungen Frauen nachts beim Piano. Sie improvisieren, stellen einander ihre Kompositionen vor und entdecken die Kraft einer ungezügelten, nicht in Regelkorsette gepressten Musik. Vielleicht können sie sogar Perlina helfen, dem keine Kompositionen mehr gelingen wollen, obwohl er in vier Wochen ein neues Konzert für den Besuch von Papst Pius VII. fertig haben muss. Im historischen Gewand und mit musicalhaften Einlagen verbeugt sich Regisseurin Margherita Vicario vor den vergessenen Komponistinnen der Musikgeschichte – und erzählt zugleich eine höchst moderne Geschichte.
Der Innenhof des Kollegiums ist voll von Geräuschen. Wäsche flattert, Besen scharren, Hühner gackern. Dann beginnt in den Innenräumen des Konvents der Chor zu proben. Rhythmisches „Ha-Ha-Ha-Ha“ mischt sich in den Alltag, in das Hacken des Gemüses, das Klopfen auf Geschirr, das Niesen im richtigen Moment. Nun setzen in die Sinfonie aus klassischen Instrumenten und Arbeitsrhythmen auch die Geigen ein. Die Welt wird Sound, das Leben gebiert Schönheit. Zumindest im Kopf von Teresa, denn die Szene, in der das ganze Waisenhaus zu tanzen beginnt, ist ein Tagtraum, eine Fantasie. Trotzdem ist dies die Schlüsselszene des Films. Sie enthält im Kern sein Musikverständnis und seine Botschaft. Die Kunst der Klänge ist hier nicht auf gängige Kategorien und Schubladen beschränkt. Alles kann swingen, wenn es nur aus einer echten Emotion heraus zum Kunstwerk wird. Und nicht, weil es vorgegebenen, leblosen Regeln folgt.
Schauspielerin Margherita Vicario, die hier ihr Regie-Debüt vorlegt, kann ein Lied singen von der Diskriminierung von Frauen in der Tonkunst. Denn sie ist selbst auch als (Pop)Musikerin aktiv und bekannt. Die Idee für den Film kam ihr, als sie in einer Recherche über die vergessenen Komponistinnen der Musikgeschichte steckte. Dabei entdeckte sie die vier Waisenhäuser (Ospedali) in Venedig: Wohlfahrtseinrichtungen für Frauen, die zugleich deren musikalische Ausbildung auf höchstem Niveau förderte. Begabte Komponistinnen wuchsen hier heran, deren Werke mit einer Ausnahme nicht nur vergessen, sondern auch verschollen sind. Am berühmtesten dieser Waisenhäuser, dem Ospedale della Pietà, unterrichtete für einige Zeit Antonio Vivaldi, dessen „Gloria“ in D-Dur dem Film den Titel gab und auch zu Beginn erklingt.
Im strengen Sinn ist „Gloria!“ kein Musical. Die Dialoge werden nicht gesungen und die Anzahl der Tanzszenen hält sich in Grenzen. Aber das Debüt von Margherita Vicario ist trotzdem ein Film, dessen Bilder aus der Musik heraus entstehen, sie in Szene setzen mit der dynamischen Kamera von Gianluca Rocco Palma. Selbst wenn auf der Tonspur einmal Stille herrscht, folgen die Bewegungen des Ensembles einer Choreografie, in der sich Harmonie oder innere Spannung zwischen den fünf jungen Musikerinnen spiegeln. Der nächtliche Keller wird zum Probenraum und zum Spielplatz der Gruppendynamik, wie bei einer modernen Rock-, Pop- oder Jazz-Combo. Hier werden bittere Konkurrenzen ausgetragen. Aber es entsteht auch eine innige Freundschaft, vor allem, wenn das Quintett schrägere Töne anschlägt, als es das beginnende 19. Jahrhundert eigentlich erlaubt. Denn Margherita Vicario fantasiert sich in den historischen Rahmen nicht nur hinein, sondern auch aus ihm heraus. Sie schreibt die Musikgeschichte um und erlaubt den jungen Frauen, auf Geige, Cello und Klavier mit Blues, Jazz und Pop zu experimentieren.
Man kann „Gloria!“ ahistorisch finden und dem Film die Vermischung von Barock und Moderne vorwerfen. Aber dann übersieht man, dass die Figur der Lucia von der realen Komponistin Maddalena Laura Sirmen inspiriert ist, der einzigen aus dieser Epoche, deren Werke erhalten sind. Der Film setzt ihr und ihrer durchaus zeittypischen Musik einerseits ein Denkmal, bringt sie aber zugleich in Gegensatz zu Teresa, der wilden, aus dem Bauch heraus spielenden Autodidaktin, die hier quasi als Erfinderin von Jazz und Pop fantasiert wird. Indem der Film die beiden Antagonistinnen versöhnt, bringt er auch seine Verehrung für beide Musikrichtungen zum Ausdruck – eine Haltung, die heutzutage viele Menschen teilen. Außerdem huldigt er in seinen musikalischen Zeitsprüngen dem befreienden Potenzial der Musik, das in allen Epochen seine revolutionäre Kraft entfaltete. Aber nur, wenn der Impuls aus ehrlichen, tief empfundenen Regungen und Gefühlen kam.
„Gloria!“ setzt den vergessenen Komponistinnen der Waisenhäuser von Venedig ein Denkmal, und nicht nur ihnen, sondern allen weiblichen Musikerinnen. Regisseurin Margherita Vicario verankert ihr Debüt in einer konkreten historischen Situation, fantasiert sich aber zugleich darüber hinaus. Sie verändert die reale Geschichte, um die Kreativität und den Widerspruchsgeist der unterdrückten Frauen zu feiern.