Dorfpolizistin Andrea (Birgit Minichmayr) will vor allem eins: weg, insbesondere von ihrem Noch-Ehemann Andy (Thomas Stipsits). Deswegen ist die längst erwachsene Frau wieder bei ihrem kranken Vater (Branko Samarovski) eingezogen, ins ehemalige Jugendzimmer mit „Madonna“-Plakat über dem Bett. Aber das ist nur ein Provisorium, denn die Beamtin hat einen Versetzungsantrag nach St. Pölten gestellt, in die Landeshauptstadt von Niederösterreich, wo ihr zukünftiger Kollege Walter (Robert Stadlober) mehr als nur berufliche Zuneigung für sie hegt. Alles scheint gut zu laufen für die taffe Polizistin, die unliebsamen Verehrern auch schon mal ein Bier vor den Hosenlatz kippt. Doch dann passiert die Katastrophe. Aus Unachtsamkeit fährt Andrea ihren alkoholisierten Gatten auf der Landstraße zu Tode. Zu ihrer Überraschung nimmt allerdings der ältere Religionslehrer Franz (Josef Hader) die Schuld auf sich. Nun heißt es entweder wegducken oder Verantwortung übernehmen in Josefs Haders ebenso humorvoller wie melancholischer Studie über das Phänomen der Provinz.
Wie viel Bier gehen wohl bei einer Geburtstagsfeier über den Tresen? Andrea taxiert die Zahl deutlich niedriger, doch Noch-Kollege Georg (Thomas Schubert) kennt seine Geschlechtsgenossen besser. Jeder Mann an Georgs rundem Festtag wird ganz sicher elf bis zwölf Gläser kippen, sodass – die weniger durstigen Frauen eingerechnet – im Schnitt sechs Gläser pro Person auf der Rechnung stehen. Wer solche Betrachtung anstellt, weiß, dass man hier in einer „Scheiß-Gegend“ lebt, wie es einmal jemand formuliert: „Die Frauen ziehen weg und die Männer werden immer komischer“. Der Satz bringt die Gemengelage auf den Punkt, aber man hätte ihn nicht gebraucht, um Josef Hader eine skeptische Haltung zum Thema Provinz zu attestieren. Die ausgefeilten Bilder in oft statischen Einstellungen sind beredt genug. Eine schnurgerade Straße durch entsättigtes, langweiliges Grün und immer wieder die verfluchte Kuppe: Sie bietet dem schweifenden Blick zwar ein wenig Abwechslung, erweist sich aber als tückisch. Hier lauern nicht nur die beiden Polizisten, um Raser abzukassieren. Sondern auch die Tragik dessen, was sich hinter dem Sichtbaren abspielt.
Regisseur und Darsteller Josef Hader wuchs in der Provinz auf, wollte aber ebenso wie seine Hauptfigur nichts wie weg. Seither lebt er in Wien. Trotzdem gerät seine Auseinandersetzung mit der Provinz nicht zur billigen Abrechnung mittels distanzierendem Schenkelklopfer-Humor. Gerade weil der gelernte Kabarettist seine Pappenheimer so gut kennt, gönnt er ihnen in seinem zweiten Film als Regisseur (nach „Wilde Maus“, 2017) ein differenziertes Bild, das sich eher aus Episoden und treffenden Beobachtungen am Rande speist als aus oberflächlicher Dramatik. Hader schaut genau hin. Deshalb weiß er, dass von der oft gerühmten Gemeinschaft, wo jeder jeden kennt und man einander deshalb unterstützt, nur der erste Halbsatz noch wahr ist. Einmal werden Andrea und Georg beispielsweise zu einem allein lebenden Bauern gerufen, dessen Kälber verdurstet sind, weil er einige Tage mit Fieber im Bett lag. Warum er nicht zum Arzt gegangen sei, fragen sie ihn. Lakonische Antwort: „Weil ich krank war“.
Das ist auch die treffende Auskunft zur dominanten Art des Haderschen Humors in diesem Film: lustig, aber zugleich böse und makaber. Hinzu kommen, damit die Stimmung nicht allzu trist gerät, ein paar weniger trübsinnige Späße. So hat etwa ein anspielungsreicher Kreisverkehr einen sehenswerten Auftritt, der sonst eher die Domäne der „Eberhofer“-Krimis ist. Mit diesen teilt „Andrea lässt sich scheiden“ zwar manchen kritischen Blick auf die Provinz. Jedoch gesteht Josef Hader seinen Figuren keine harmlose Gemütlichkeit zu. Ohne es auszusprechen oder anzudeuten, ist seine Sicht eine politische. Und die ist derzeit höchst aktuell. Man muss ja nur mal nach Amerika schauen, um zu begreifen, welche Bedeutung das flache Land für rechtspopulistische Verführer hat.
Auf den Frauen ruht die unausgesprochene Hoffnung des Films. Es wirkt, als habe der Regisseur die Hauptrolle Birgit Minichmayr auf den Leib geschrieben. Ihr gelangweilter, von jahrelangem Überdruss gespeister Blick trägt ebenso wie ihre Körpersprache die alltagsnahe Handlung. Sie signalisieren, dass mit so einer nicht zu spaßen ist. Und dass sie nicht (mehr) hier hergehört. Das verbindet sie mit ihrem aus der Zeit gefallenen männlichen Gegenüber. Auch der von Hader verkörperte Religionslehrer und trockene Alkoholiker kennt Orte, an denen es sich besser leben lässt. Und er steht mit seinen Gewissensqualen für Werte, um die sich außer Andrea kaum jemand schert. Weder in der Provinz noch in der Stadt.
Der Titel von „Andrea lässt sich scheiden“ lockt leicht auf falsche Fährten. Nicht um ein Ehedrama geht es in der zweiten Regiearbeit von Kabarettist und Schauspieler Josef Hader. Sondern um melancholisch unterfütterten schwarzen Humor, der sich bei der Betrachtung einer alkoholgeschwängerten, von Männern dominierten Provinz einstellt.