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Interview mit Franziska Weisz zu „Führer und Verführer“

Geschrieben von Peter Gutting am 10. Juli 2024

Mit ihrer Rollenvielfalt und Wandlungsfähigkeit ist Franziska Weisz aus dem deutschsprachigen Film und Fernsehen kaum wegzudenken. Zwar wollte sie schon in ihrer Jugend Schauspielerin werden, traute sich aber nicht, diesen Traum laut auszusprechen. Eher zufällig entdeckte Ulrich Seidl die damals 19-Jährige dann für seinen Film „Hundstage“ (2001). Mehr als 20 Jahre später spielt sie Magda Goebbels, die Ehefrau von Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels, in „Führer und Verführer“ von Joachim A. Lang. Der Film schlägt einen Bogen von den letzten sieben Jahren der Hitler-Diktatur bis zu den „Fake News“ von heute. Er zeigt, wie Joseph Goebbels eine Desinformationskampagne in Gang setzte, um das kriegsmüde Volk hinter Hitlers Eroberungsgelüste zu bringen. Mit Franziska Weisz sprachen wir auf dem Münchner Filmfest, wo „Führer und Verführer“ Premiere feierte, über real gewordene Größenphantasien, über Schein und Sein der Nazi-Größen und über die Frage, wie man ein Monster spielt, das man doch irgendwie verstehen muss.

Haben Sie gezögert, die Rolle anzunehmen?

Gar nicht. Und zwar aus diversen Gründen. Mir wurde nicht nur das Drehbuch geschickt, sondern auch der Regiekommentar von Joachim A. Lang. Da standen Dinge drin, die meinen Blick total verändert haben und die ich so spannend fand, dass ich unbedingt bei diesem Film dabei sein wollte. Das ist der inhaltliche Grund. Denn alles, was wir über die Nazi-Zeit wissen, alle Filmschnipsel, die wir gesehen haben, das ist alles von den Nazis produziert worden. Es diente also Propagandazwecken und hatte mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun. Mir ist wichtig, das ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, dass das Darstellungen sind, mit denen wir einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Der zweite Grund hängt mit der schauspielerischen Herausforderung zusammen und damit, dass ich es grundsätzlich sehr mag, echte Figuren nochmal zum Leben zu erwecken. Aber ich habe noch nie so ein Monster gespielt. Und da war die faszinierende Frage, wie man diese Figur anlegen kann.

Wenn man bei Wikipedia nachliest, erfährt man, dass Magda Goebbels ein ziemlich schillerndes Leben führte und eigentlich alles andere war als die deutsche Übermutter, als die sie sich ausgab und als die sie inszeniert wurde. Sein und Schein klaffen auch bei ihr grotesk auseinander. Sie war freizügig, hatte Liebhaber und sogar einen jüdischen Stiefvater. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie sich näher mit ihr beschäftigten?

Ich habe alles, was es über sie gab, gelesen. Dabei merkte ich, dass mir Eva Braun im Vorfeld sehr viel näher war, weil man sie besser kennt. Von Magda Goebbels wusste ich zuvor nur, dass sie die erste Trägerin des Mutterkreuzes war und dass sie die sechs Kinder, die sie mit Joseph Goebbels hatte, zum Schluss umbrachte. Es war sehr spannend, über sie zu recherchieren und ich habe viel über sie erfahren. Zum Beispiel, dass sie selbst Kriegsflüchtling war. Sie kam zu Beginn des Ersten Weltkriegs aus Belgien. Ich musste den ganzen Lebensweg kennen, um begreifen zu können, wie man so verrückt und fanatisch sein kann, seine Kinder umzubringen. Ich habe sie verstanden als lebensfrohe, gebildete und sehr schöne Frau, dem damaligen Ideal entsprechend. Ihr leiblicher Vater, ein reicher Unternehmer, und ihr Stiefvater, der wohlhabende jüdische Kaufmann Richard Friedländer, haben darum konkurriert, wer ihr die bessere Bildung angedeihen lassen kann. Sie sprach viele Sprachen und ihre erste große Liebe war der Zionist Viktor Chaim Arlosoroff, mit dem sie beinahe nach Palästina ausgewandert wäre.

Welche Linie zieht sich durch diesen Lebensweg?

Ihre Mutter kam aus einfachen Verhältnissen, ihre Tochter war für kurze Zeit ein uneheliches Kind und die Mutter hat sich sozusagen hochgeheiratet. Der Magda wurde früh in die Wiege gelegt, dass sie klug und schön sei und einmal etwas ganz Großes aus ihr werde. So liest es sich für mich. Zum Beispiel sitzt sie noch als Schülerin im Zug auf dem Weg ins Internat und lacht sich den schwerreichen Industriellen Günther Quandt an, der seit eineinhalb Jahren verwitwet ist und doppelt so alt wie sie. Ein knappes Jahr später heiratet sie ihn. Dadurch kommt sie in die Kreise der Millionäre, und dann geht es nochmals höher, als sie Joseph Goebbels kennenlernt, der damals an den Rednerpulten wie ein Rockstar aufgetreten ist. Für mich erklärt dieser unbedingte Wille zum sozialen Aufstieg nicht nur eine Magda Goebbels, sondern auch die Gefolgsleute von einem Herrn Trump, einem Herrn Putin und einem Herrn Kickl (rechtsextremer Parteichef der FPÖ in Österreich, Anm. der Redaktion).

Macht und Ruhm sind Verführer.

Das Versprechen, jemand ganz großes und wichtiges zu werden, macht etwas mit den Menschen. Die Verführung durch Ruhm und Reichtum ist eine Waffe, die universell auf der ganzen Welt funktioniert. Magda verfällt diesem Goebbels, lernt durch ihn Hitler kennen, der ihr auch auf eine Art verfällt, und auf einmal ist sie die erste Frau des Reichs. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist so, als würde man mir sagen, du bist die mächtigste, die schönste, die klügste Frau der ganzen Welt. Das hat eine Sogwirkung. So habe ich mir Magda Goebbels erschlossen und so erschließe ich mir auch die aktuellen Entwicklungen von heute. Das erklärt, warum Menschen Trump folgen, obwohl sie ihn für einen totalen Vollidioten halten. Weil er ihnen verspricht, dass er sie reich, berühmt und „great again“ macht.

Interessant ist vor allem das Verhältnis zu Hitler. Gleich zu Beginn zeigt der Film, wie Magda Goebbels Ihre Beziehung zu Hitler einsetzt, um Ihren Mann zu zwingen, die Ehe weiterzuführen, obwohl der sich scheiden lassen wollte, um mit seiner Geliebten zusammenzuleben. Woher kam die Macht, die diese Frau über die Männer hatte? Wie war ihr Verhältnis zu Hitler?

Zwischen Magda und Joseph Goebbels gab es eine Anziehung für eine gewisse Zeit. Aber sie hätten es nicht geschafft, ein ganzes Leben miteinander zu verbringen. Dafür reichte es nicht. Hitler hat sie kennengelernt und gesagt, sie sei eine ganz besondere Frau und könne in seinem Leben eine große Rolle spielen, auch ohne dass er mit ihr verheiratet wäre. Sie könne bei seiner Arbeit der Gegenpol gegen seine einseitig männlichen Instinkte sein. Hitler wirkte ebenfalls wie ein Rockstar, eine Heirat wäre für ihn nachteilig gewesen, wie bei den Boybands der 1990er Jahre. Die waren ja auch nach außen alle ungebunden. Hitler hatte einen unglaublichen Stich bei Frauen. Er hat die Hautevolee der Reichen und Gebildeten über seine Anziehung auf Frauen gewonnen. Es gibt Bilder, auf denen Frauen ihn wie Groupies anhimmeln und man denkt, die Beatles treten auf. Zwischen ihm und Magda Goebbels gab es eine erhabene große Liebe, eine Art Minnelied von ihm an sie.

Vielleicht auch körperlich?

Eher platonisch. Aber man weiß es nicht hundertprozentig. Sie war jedenfalls oft allein auf dem Obersalzberg. Dort hat Hitler oft bis morgens um vier die Runde unterhalten, und möglicherweise passierte dann auch mehr. Wir haben es jedenfalls mitschwingen lassen im Film, ohne es zu behaupten. Ich glaube, es gab eine Anziehung zwischen den beiden, die über ihren kranken Fanatismus transportiert wurde. Er hat sie zu einer ikonenhaften Mutter und Frau erhoben, die er anbeten konnte. Gleichzeitig hat er die Ehe zwischen Magda und Joseph Goebbels arrangiert, um eine Art Dreierbeziehung leben zu können. Dadurch hatte sie ein Druckmittel auf ihren Mann, der dabei war, aus diesem Deal auszubrechen. Interessant dabei ist, dass Hitler auch ihr verbot, sich scheiden zu lassen. Da zeigt sich, dass sie zwar die Karte der First Lady spielen durfte, dass aber Hitler noch mächtiger war als sie. Melania Trump hätte ja auch nicht abspringen können während des Wahlkampfs.

Konnten Sie sie spielen, ohne sich in sie einzufühlen?

Nein. Ich kann eine Figur nicht spielen, ohne irgendetwas an ihr zu verstehen. Ich musste mir Punkte suchen, an die ich andocken konnte. Etwa den Aufstieg aus einfachen sozialen Verhältnissen. Oder die Anziehungskraft der Macht. Oder ihre Art, aufzutreten und ihren Charme spielen zu lassen. Ich habe ein bisschen an die Serie „House of Cards“ gedacht. Es gibt bei uns im Film eine Szene, wo sie und ihr Mann den armen Filmregisseur Veit Harlan einschüchtern und ihn einspinnen wie in ein Spinnennetz, bis er starr dasitzt wie das Kaninchen vor der Schlange. Das war für mich eine House-of-Cards-Szene. Dort gibt es auch zwei dubiose Gestalten in einer skrupellosen Seilschaft, und die Schauspieler hatten bestimmt ihren Spaß, das zu spielen. Ich musste also Magda Goebbels ein Stück weit verstehen. In manchen Punkten konnte ich sie fast nachvollziehen. Das heißt überhaupt nicht, dass ich irgendwie so handeln würde wie sie. Aber ein gewisses Verständnis war mir wichtig.

Gilt das auch für ihren Entschluss, ihre sechs Kinder zu ermorden?

Sie berichtet im Abschiedsbrief an Harald Quandt, ihren Sohn aus erster Ehe, dass Hitler und Goebbels sie aufgefordert hatten, sich und ihre Kinder zu retten. Das lehnt sie entschieden ab, weil sie in ihrem Fanatismus überzeugt ist, ein Leben nach Hitler und nach diesem Reich sei nicht lebenswert. Die Ermordung ihrer Kinder ist insofern für sie kein Opfer, sondern geschieht aus tiefster ideologischer Verblendung, auch wenn ihr die Vergiftung nicht leichtfällt. Sie liebt ihre Kinder aus vollstem Herzen. Aber sie liebt den Führer und die Vision des Nationalsozialismus noch mehr. Das ist die einzige Version, wie ich mir diese Frau erklären kann. Und wie ich mir Frauen erkläre, die ihre Söhne in den Dschihad schicken. Es ist eine Art des Fanatismus und eine komplett kranke Weltsicht.

Aber wie kann man seine frühere Verbindung mit jüdischem Leben vergessen? Und durch eine Ideologie, die rein auf Fremdenhass beruht, derart fanatisch werden? Gibt es Dinge, von denen Sie sagen, das verstehe ich nicht, aber das spiele ich halt routinemäßig?

Nein, das gibt es bei mir nicht. Ich musste so lange daran herumkauen, bis ich bis zum Kern durchgedrungen war. Vielleicht liege ich falsch. Wenn Magda Goebbels hier säße, würde sie vielleicht sagen, du hast mich völlig missverstanden. Aber ich habe sie mir logisch erschlossen und konnte dann diesen Weg nach ganz oben mit ihr gehen. Wenn sich dann der jüdische Schauspieler Gottschalk umbringt und Frau und Kind mit in den Tod reißt, dann sagt das Ehepaar Goebbels, so ein Verhalten ist ja unmenschlich, und hält es so von sich fern. Und selbst wenn der eigene Stiefvater umgebracht wird, führt das zu keiner Umkehr. Ich glaube wirklich, dass sie für die Möglichkeit, die mächtigste Frau der Welt zu sein, sogar den Stiefvater geopfert hat.

Meinen Sie, dass sie von den Konzentrationslagern wusste?

Ich denke, sie hat das Wort mal gehört, aber wollte das gar nicht wissen. Ich kann mir vorstellen, dass sie weghörte, wenn es politisch wurde. Eigentlich wäre sie gern Modeministerin geworden. Man darf nicht vergessen, dass sich die Nazis unfassbar bereichert haben. Es ist ein Irrglaube, dass die Elite der Nationalsozialisten rückwärtsgewandt und konservativ lebte. Damals waren sie die modernsten, coolsten und schönsten Menschen der Welt. Sie waren die Über-Klasse. Es gab niemanden, der luxuriöser und vermeintlich glücklicher gelebt hat als die Nazi-Elite. Ich glaube, ab einem gewissen Punkt kann man dann auch nicht mehr zurück.

War es schwierig, nach jedem Drehtag die innere Distanz wieder herzustellen zu diesem Monster?

Es klingt grotesk, aber ich bin in jemanden hineingeschlüpft, der Spaß hatte am Leben. Ich fand viel schlimmer, dass ich erst das Drehbuch gelesen habe und dann lese ich im Sommer 2022 die Zeitung und Putin rechtfertigt seinen Krieg exakt so, wie Hitler ihn gerechtfertigt hat mit dem berühmten Satz, dass seit 5:45 Uhr zurückgeschossen wird. Putin sagt, wir haben russische Staatsbürger in der Ukraine, die müssen wir retten. Es war für mich unglaublich schlimm, das Ganze vor einer Realität zu spielen, die überhaupt nichts gelernt hat. Die Gefolgsleute gibt es heute wie damals, auch die kranken Ideen und die Narzissten, die es schaffen, Menschen an sich zu ziehen und Hass zu predigen.

Was mit Fake News gemeint ist, gab es ja ebenfalls schon vor über 80 Jahren.

Für mich war es der größte Schock, dass sich die Propaganda-Mittel überhaupt nicht verändert haben. Joseph Goebbels sagte, man muss eine Lüge nur oft genug wiederholen, dann glaubt irgendwann auch der letzte daran. Damals wie heute waren die Menschen vom Einsatz der „neuen Medien“ komplett überfordert, einst von Volksempfänger, heute von Social Media. Übrigens gab es mir viel Sicherheit im Spiel, dass fast alles, was Joseph Goebbels im Film von sich gibt, historisch belegt ist. Es stammt aus seinen Tagebüchern oder anderen Quellen. Doch zurück zu Magda Goebbels: Für mich war es nicht so schwer, ihre Figur nach einem Drehtag wieder abzustreifen. Die hatte ja Scheuklappen. Sie war in ihrer schönen Welt und die Opfer in der Realität haben sie nicht interessiert. Für mich war viel schockierender, am Abend die Nachrichten zu schauen und zu erfahren, wo die Rechten überall Zulauf haben.

Letzte Frage, zu einem ganz anderen Thema: Sie haben vor über einem halben Jahr mit dem „Tatort“ aufgehört. Welche Freiheiten haben Sie dadurch gewonnen und woran haben Sie derzeit den meisten Spaß?

Es gab auch zu Tatort-Zeiten die Möglichkeit, bei anderen Projekten dabei zu sein. Aber die Flexibilität hat sich sehr verbessert, und das freut mich. Gerade arbeite ich an der zweiten Staffel der Serie „Tage, die es nicht gab“. Die erste Staffel lief letztes Jahr im Fernsehen und war die zweiterfolgreichste Streaming-Serie in ganz Deutschland nach „Babylon Berlin“. Das hat uns alle sehr glücklich und stolz gemacht. Deswegen dürfen wir jetzt die zweite Staffel folgen lassen. Die ersten vier Folgen sind schon abgedreht. Nun haben wir eine kleine Pause, was für die Premiere von „Führer und Verführer“ praktisch ist. Danach geht’s mit der Serie weiter.

Zur Person:

Franziska Weisz wurde 1980 in Wien geboren und lebt heute in Berlin. Sie spielte 2001 in Ulrich Seidls „Hundstage“, bevor sie ihr Studium der Entwicklungs- und Umweltpolitik am King’s College in London abschloss. 2003 stieg sie mit Jessica Hausners „Hotel“, der Weltpremiere in Cannes feierte, ganz in den Beruf als Schauspielerin ein. Bei der darauffolgenden Berlinale brachte der Film der jungen Darstellerin die Auszeichnung „European Shooting Star“ ein. Es folgten weitere Kino- und Fernsehproduktionen, darunter „Das Vaterspiel“ von Michael Glawogger (2007) und „Der Räuber“ von Benjamin Heisenberg (2009). Mittlerweile war sie in über 70 deutschen und internationalen Produktionen für Kino und TV zu sehen, darunter 13 „Tatort“-Folgen. Zum Jahreswechsel 2023/2024 stieg Franziska Weisz aus der Serie aus.

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Interview mit Franziska Weisz zu „Führer und Verführer“

Geschrieben von Peter Gutting

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Start: 01.01.1970