„Ich will lieber Fotos machen, als eines zu sein“. Das hat die Amerikanerin Lee Miller (Kate Winslet) gesagt, die ihre Karriere als Mannequin begann und später zu einer der bedeutendsten Kriegsfotografinnen des 20. Jahrhunderts wurde. Wir lernen sie kennen im Jahr 1938, als sie an der südfranzösischen Küste das süße Leben der Bohème genießt. Umgeben von Künstlerfreunden wie der Journalistin Solange D’Ayen (Marion Cotillard) und der Surrealistin Nusch Eluard (Noemie Merlant), spürt sie zwar die wachsende Kriegsgefahr durch Hitlers Expansionsgelüste, nimmt sie aber nicht ernst. „Wir hielten den ganzen Nazi-Spuk damals nicht für real“, vertraut sie in der Rahmenhandlung einem jungen Interviewer (Josh O’Connor) an, der sie im Rückblick zu ihren Erlebnissen bis 1945 befragt. Sorglos leben die Künstlerfreunde noch 1938 in den Tag hinein, Lee selbst ist kaum mehr als vier Monate am selben Ort. Doch dann lernt sie ihren zweiten Ehemann Roland Penrose (Alexander Skarsgård) kennen, geht mit ihm nach London, wo sie bei der britischen „Vogue“ anheuert und von Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) unterstützt wird. Gemeinsam mit dem jüdischen Fotografen David E. Sherman (Andy Samberg) zieht es sie bald nach Europa, um den Krieg und den Holocaust zu dokumentieren.
Kugelhagel, Beschuss von allen Seiten: Bei den Kämpfen um die bretonische Hafenstadt Saint Malo rennt Lee um ihr Leben. Dann ein heftiger Knall, eine Druckwelle schleudert die Frau auf den Boden, ein GI zieht sie in letzter Sekunde aus der Gefahrenzone. Dabei hat sie zwar einen Helm auf und eine Uniform an, aber kein Gewehr in der Hand. Ihre einzige Waffe ist die Kamera. Mit diesem Beginn setzt der Film nicht nur den Ton für die Spannungsdramaturgie, sondern auch für die Charakterzeichnung. Lee Miller lässt sich durch nichts aufhalten. Nicht von Männern, nicht von den fürchterlichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, und schon gar nicht von inneren Zweifeln oder Ängsten. Sie bekommt einen Tobsuchtsanfall, als ihr Mann, den sie nach langer kriegsbedingter Trennung erstmals wiedersieht, sagt, er wolle sie nach London heimholen, um sie zu beschützen.
Kate Winslet ist bei „Die Fotografin“ nicht nur Hauptdarstellerin, sondern auch Produzentin. Seit 2016 setzt sie sich für die Filmbiografie über die unerschrockene Lee Miller ein, zusammen mit deren Sohn Antony Penrose, der das Leben seiner Mutter in dem Buch „Immer lieber woandershin – Die Leben der Lee Miller“ beschrieben hat. Die Schauspielerin sieht in Miller eine Seelenverwandte und ein großes Vorbild. „Sie war eine Frau, die sich selbst treu geblieben ist, auch wenn das manchmal einen enormen emotionalen und persönlichen Preis hatte“, sagt sie im Pressheft. Kate Winslet ist angetan von den kompromisslosen Suche nach der Wahrheit, die über allem steht, auch über der Frage nach dem Recht am eigenen Bild oder der Würde von Toten.
Dementsprechend ist das von Regisseurin Ellen Kuras inszenierte Drama ganz auf Kate Winslet
zentriert und quasi um sie herum gebaut. Alles dient ihrer Perspektive und ihrem Blick auf eine ungewöhnliche, stolze, freizügige und hingebungsvoll für andere kämpfende Frau, die heroenhaft für humanistische Werte kämpft und dabei doch irgendwie von inneren Dämonen getrieben zu sein scheint. Das gibt Kate Winslet den nötigen Freiraum, um sämtliche Facetten ihrer Schauspielkunst in den Dienst des realen Charakters zu stellen. Sie lässt unerschöpfliche Energie spüren, aber auch innere Zweifel und Fragezeichen. Sie verströmt Charisma und Angriffslust, hinter denen jedoch seelische Wunden mitschwingen, die in dem Einsatz für andere auch einen Therapieversuch an sich selbst suggerieren. Kurzum: Kate Winslet zeigt sich in Höchstform, „Die Fotografin“ ist einer ihrer wichtigsten Filme, zumal sie ihrer Figur auch die Geheimnisse lässt, ohne die keine schillernde Persönlichkeit auskommt.
Dennoch darf bezweifelt werden, ob es eine gute Idee war, die erfahrene Kamerafrau Ellen Kuras (Jahrgang 1959) zu fragen, ob sie hier nicht ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin geben möchte. Zwar sind die typischen Bilder eines Historiendramas elegant inszeniert und zuweilen von epischer Wucht. Aber immer wieder erwecken die üppig ausgestatteten historischen Schauplätze den Eindruck, als habe man ja nichts falsch machen wollen bei dem Versuch, ein ambitioniertes und zugleich massenkompatibles Vorzeigeprojekt auf Beine zu stellen. Ehrfurcht siegt über Experimentierlaune, optischer Genuss über den wahren Dreck und das Elend des Krieges. Hinzu kommt die emotionalisierende Musik von Alexandre Desplat, die sich allzu häufig in den Vordergrund drängt.
„Die Fotografin“ ist ein konventionelles Biopic über eine faszinierende Frau, die von Kate Winslet überragend verkörpert wird. Zu den Minuspunkten des Films zählen jedoch seine glatte Optik und die aufdringliche Musik.