Die Geschichte dieser verdienstvollen, politisch aufrüttelnden Dokumentation reicht rund zehn Jahre zurück. Warum, fragte sich der israelische Filmemacher Dror Moreh damals, verhindert die internationale Gemeinschaft einen Völkermord in Libyen, schaut aber in Syrien tatenlos zu, wie Menschen abgeschlachtet und per Giftgas erstickt werden? Um das zu verstehen, wollte der Regisseur mit Politikern aus den inneren Zirkeln der Macht sprechen. Das klingt vielleicht vermessen, aber es gelang ihm, Außenminister und Sicherheitsberater aus einer ganzen Reihe von US-Regierungen vor die Kamera zu bekommen, die nicht nur den Völkermord in Syrien zu verantworten hatten, sondern auch den in Bosnien-Herzegowina und den in Ruanda. Dabei geschieht etwas Erstaunliches, sehr Seltenes und Berührendes: Manche, wie etwa der damalige Vize-Außenminister und heutige Außenminister Anthony Blinken, räumen ganz offen Fehler ein. Andere, vor allem auf der Berater-und Diplomatenebene, kämpfen gar mit den Tränen.
„Nie wieder“, diese Losung zieht sich wie ein Weckruf durch den Film, der mit den Konzentrationslagern von Nazi-Deutschland beginnt. Völkermord sollte sich kein einziges Mal nach dem Zweiten Weltkrieg mehr wiederholen. Das beschloss die UNO-Generalversammlung 1948 in einer Konvention zur Verhütung und Bestrafung solcher Verbrechen. Aber wer soll dafür geradestehen? Wer spielt Weltpolizist? Die USA haben diese Rolle bisweilen übernommen, manchmal erst nach langem Zögern. Aber kann man von ihnen verlangen, jedes Mal Truppen oder Kampfjets zu schicken, wenn auf der Welt Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschehen? In diesem Spannungsfeld zwischen Moral und Realpolitik bewegt sich Dror Morehs („The Gatekeepers“, 2012; „The Human Factor“, 2019) aufwühlender Film.
Was also geschieht in den Maschinenräumen der Macht, wenn unterschiedliche Meinungen von Militärs, Sicherheitsberatern, Experten und Diplomaten aufeinanderprallen? Der Filmemacher befragt dazu unter anderem Madeleine Albright, Colin Powell, Hillary Clinton, Henry Kissinger, Leon Panetta, Paul Wolfowitz und Samantha Power. Chronologisch geht er die barbarischen Konflikte seit 1989 durch und spricht dabei mit denen, die jeweils Verantwortung trugen. In Parallelmontagen zeigt er Archivmaterial von den Gräueltaten, über die an den Konferenztischen entschieden wurde, in Fragen von Leben und Tod, Folter und Massen-Vergewaltigung. Das ist ein sehr klares, beeindruckendes Konzept, das sich auch dann leicht nachvollziehen lässt, wenn man keine Detailkenntnisse von den komplexen politischen Verwicklungen hat. Die Anstrengungen und Zumutungen der Recherche sieht man dem fertigen Film nicht an – höchstens insofern, als er das Publikum mit einem Teil der grauenvollen Bilder konfrontiert, die sich das Filmteam massenhaft anschauen musste.
Ein Glücksfall und eine Art roter Faden für den Film ist die Journalistin und spätere Obama-Vertraute Samantha Power. Die gebürtige Irin schildert offenherzig, wie sie als junge Studentin in Berlin einfach nur davonlaufen wollte, als die ersten Geflüchteten aus dem Bosnien-Krieg in der deutschen Hauptstadt ankamen. Auf so viel Leid war sie mit Anfang 20 nicht vorbereitet. Aber der Zufall wollte es, dass sie nach der Rückkehr in die USA als Praktikantin für einen Politiker arbeitete, der vom Bosnien-Konflikt geradezu besessen war. Also schaute sie doch genauer hin und ging anschließend sogar als politische Journalistin auf den Balkan. Später schrieb sie das anklagende Buch „A Problem from Hell“, in dem sie den USA vorwarf, noch nie einen Völkermord gestoppt zu haben – und damit genau das Thema des Films aufgriff. Samantha Power geht danach in die Politik, als Sonderassistentin von Barack Obama im Nationalen Sicherheitsrat und später als UN-Botschafterin. Sie macht sich selbst die Finger schmutzig und relativiert damit die moralische Anklage, die anfangs durch die Komposition des Films durchschimmert.
Ein großes Verdienst von „Kulissen der Macht“ ist die Nähe und Offenheit, die Dror Moreh bei seinen Gesprächspartnerinnen und –partnern aufbaut. Trotzdem darf man das Grauen der dazwischen geschnittenen Bilder nicht verschweigen. Der Verleih geht sogar so weit, sensible und bereits traumatisierte Zuschauerinnen und Zuschauer vor dem Archivmaterial zu warnen: Es enthalte „zum Teil brutale und explizite Gewaltdarstellungen wie körperliche Übergriffe und Verletzungen sowie Bilder von Leid und Verlust“. Darauf angesprochen, rechtfertigt sich der Regisseur im Presseheft: Die Menschen müssten diese Aufnahmen sehen, um zu erfahren, was sogenannte „ethnische Säuberungen“ ganz konkret bedeuten. Der Schock soll wachrütteln, denn das angebliche „Nie wieder“ wurde seit 1989 zu einem „Immer wieder“. Und das nicht nur, weil Politiker versagen. Sondern auch, weil die Bürgerinnen und Bürger wegschauen.
„Kulissen der Macht“ zieht ein ernüchterndes Fazit des Anspruchs, „nie wieder“ dürften Völkermorde geschehen. Regisseur Dror Moreh entlockt seinen hochrangigen Gesprächspartnern offenherzige Eingeständnisse des Versagens. Er deckt die oft ganz banalen Gründe auf, warum die US-Politik manchmal den Weltpolizisten spielt und manchmal nicht.