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Golda – Israels eiserne Lady

Geschrieben von Peter Gutting am 17. April 2024

Erstaunlich, wie sich die Bilder gleichen: An einem hohen jüdischen Feiertag im Oktober erlebt der Staat Israel einen der schlimmsten Überfälle seiner jungen Geschichte. Selbstüberschätzung und mangelnde Wachsamkeit spielen dem Feind in die Hände. Bereits zu Beginn der kriegerischen Auseinandersetzung hat das jüdische Volk massive Verluste zu beklagen. Aber der Jom-Kippur-Krieg, von dem hier die Rede ist, beginnt nicht am 7. Oktober 2023, sondern 50 Jahre früher. Damals liegt das Schicksal der Nation in den Händen von Ministerpräsidentin Golda Meir (Helen Mirren). Die als „eiserne Lady“ bezeichnete Regierungschefin muss binnen Stunden Entscheidungen treffen zwischen in einem zerstrittenen Kriegskabinett, in dem Außenminister Moshe Dayan (Rami Heuberger) die Gefahr herunterspielt, während Generalstabschef David „Dado“ Elazar (Lior Ashkenazi) eine massive Mobilmachung fordert. Obwohl bekannt ist, wie der Krieg zwischen den arabischen Staaten und Israel ausging, spannt der israelische Regisseur Guy Nattiv einen nervenaufreibenden Bogen um die wohl wichtigsten drei Wochen im Leben der israelischen Politikerin – in einer faszinierenden Mischung aus Biografie, Kriegsdrama und erstaunlich aktueller Zeitgeschichte.

Die Zigarette ist ihre wichtigste Waffe. Bevor wir Goldas Augen zum ersten Mal sehen, nimmt die Kamera ihr Feuerzeug ins Visier. Die Flamme schießt hoch, begleitet von einem Knall auf der Tonspur. Qualm steigt auf. Das Kettenrauchen wird sich als vielschichtiges Symbol durch den Film ziehen: nicht nur als Mittel zur Linderung des unerträglichen Stresses, sondern auch in seiner Analogie zu dem Feuer, das seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 im Nahen Osten lodert und in regelmäßigen Explosionen Rauch aufsteigen lässt. Der ständige Griff zur Schachtel deutet zudem an, dass die 1898 in der heutigen Ukraine geborene Regierungschefin so „eisern“ nicht war, wie sie in den Augen der Weltöffentlichkeit schien. Regisseur Guy Nattiv und sein Drehbuchautor Nicholas Martin zeichnen sie als müden und kranken Politprofi, dem trotz aller Härte der Staatsräson die Menschlichkeit nicht abhandengekommen ist. Helen Mirren ist insofern eine Idealbesetzung, als sie in „Die Queen“ (2006) von Stephen Frears schon einmal eine ähnlich disziplinierte und dennoch nicht gefühlskalte Staatsfrau verkörperte – und hier wie dort fast vollständig in die Haut der jeweiligen Figur schlüpft.

Im Jahr 1973, als der Jom-Kippur-Krieg ausbrach, war Guy Nattiv gerade einmal vier Monate alt. Seine Mutter nahm ihn als Baby mit in den Luftschutzkeller, sein Vater kämpfte an der Front. In den Erzählungen, die er als Kind über Golda Meir hörte, erschien sie als Heldin. Doch als er sich später intensiver mit ihrer Persönlichkeit beschäftigte, merkte er, dass die Wirklichkeit komplexer war. Er fand zum Beispiel heraus, dass sich die damals 75-jährige während der Kriegswochen gegen einen geheim gehaltenen Lymphdrüsenkrebs bestrahlen lassen musste. Und er machte sich Gedanken über die hohe Zahl vermeidbarer Opfer, die der Krieg gefordert hatte. Auf israelischer Seite starben fast 3000 Soldaten. Der Film zeigt, wie Golda Meir, die sich später vor einer Untersuchungskommission für ihre Fehler rechtfertigen musste, täglich die Verluste in einem kleinen Notizbuch auflistet.

„Golda – Israels eiserne Lady“ macht die Gräuel des Krieges vor allem auf der Tonspur sichtbar und handelt nicht nur von politischer Klugheit und taktischem Verhandlungsgeschick, sondern auch von Zweifeln und Schuldgefühlen. Er zeigt die harte und die weiche Seite einer Staatsfrau, die sich immer öfter das Gesicht mit kaltem Wasser wäscht – eine Methode, die sie zuvor ihrem Verteidigungsminister als Mittel zur Wiedererlangung der Fassung empfohlen hatte. Besonders schön wird die warmherzige Facette der Politikerin in ihrer Beziehung zu ihrer Assistentin Lou Kaddar (Camille Cottin) herausgearbeitet, die nach dem Tod vom Meirs Ehemann zu ihrer engsten Vertrauten wurde. Ihre Qualifikationen als abgekochte Taktikerin dagegen bringen die Szenen mit dem amerikanischen Außenminister Henry Kissinger (Liev Schreiber) zum Leuchten.

Selbstverständlich konnte der stimmungsvoll fotografierte Film, der im Februar 2023 bei der

„Berlinale“ Premiere hatte, den Hamas-Terror vom Oktober desselben Jahres nicht vorausahnen. Dennoch sind die aktuellen Parallelen bestürzend. Sie machen die Filmbiografie zu einem Lehrstück für das Hintergrundverständnis des Nahostkonfliktes. Zum einen vermittelt er ein genaues Sinnbild für das Lebensgefühl eines Staates, der sich seiner Existenz nie sicher sein konnte, weil er in dem dreiviertel Jahrhundert seines Bestehens bislang sechs Mal kriegerisch angegriffen wurde, wenn man die erste und die zweite Intifada mitrechnet. Zum anderen zeigt er, dass israelische Regierungschefs keineswegs immer alles richtig machen. Und zum dritten erinnert er daran, wie wichtig Symbole in diesem Konflikt sind. Ägypten und Syrien hatten 1973 zwar militärisch den Krieg verloren, feierten ihre Niederlage aber wie eine erfolgreiche Revanche für die Schmach des vorausgegangenen Sechs-Tage-Krieges. In den 50 Jahren danach ist die Region leider ein Pulverfass geblieben, und das politische Augenmaß von Golda Meir wird heute schmerzlich vermisst.

„Golda – Israels eiserne Lady“ porträtiert die erste israelische Ministerpräsidentin in den wohl schwersten Stunden ihrer Amtszeit. Regisseur Guy Nattiv zeichnet mit starken Bildern die facettenreiche und zugleich zupackende Charakterstudie einer Politikerin, die keine Militärexpertin sein wollte und dennoch viele richtige Entscheidungen traf.

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Copyright: Weltkino Filmverleih, Aidem Media Ltd, Sean Gleeson

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Länge: 100min

Kategorie: Biopic, Drama, Politfilm

Start: 30.05.2024

cinetastic.de Filmwertung: (8,0/10)

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Info

Golda – Israels eiserne Lady

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 100min
Kategorie: Biopic, Drama, Politfilm
Start: 30.05.2024

Bewertung Film: (8,0/10)

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