Das Leben von Taxifahrer Thomas Brenner (Devid Striesow) fühlt sich an wie eine Modelleisenbahn: immer auf denselben Gleisen, um dieselben Häuser herum und zurück auf Anfang. Der 48-Jährige mag das, er hasst Veränderungen und liebt es, nicht aufzufallen. Sein Leben bliebe wohl ein ewiger Kreisverkehr, würden nicht eines Tages drei zwielichtige Männer samt ihrem Kampfhund „Roxy“ in sein Taxi steigen. Eigentlich will der ängstliche Fahrer die gut gekleideten Herren namens Levan (Vakho Chachanidze), Andrei (Ivan Shvedoff) und Sasha (Sandro Kekelidze) so schnell wie möglich wieder loswerden, schon wegen des furchterregenden Tieres. Aber sie entlohnen Thomas fürstlich und irgendwie fühlt er sich auch angezogen von dem gefährlichen Leben jenseits der eingefahrenen Schienen. Außerdem lernt er kurz darauf Levans attraktive Frau Liza (Camilla Borghesani) und den achtjährigen Sohn Vova (Raphael Zhambakiyev) kennen. Sie bringen unerwartete Gefühle in den schillernden Thriller des georgischen Regisseurs Dito Tsintsadze, der das Genre mit einer guten Prise schwarzen Humors und einer vorzüglichen Charakterstudie würzt.
Auf dem Trottoir vor einem Handyladen: Sasha wartet mit dem angeleinten Hund draußen. Aber kaum lässt er sich einen Moment ablenken, hat die Kampfmaschine schon zugebissen. Eine ahnungslose Passantin ist das Opfer. Man hört ihr Schreien aus dem Off, während Levan im Taxi ein paar große Scheine zückt. Thomas soll die Gebissene um Verzeihung bitten und ihr das Geld anbieten. Er solle sich die Scheine sonst wohin stecken, ist die wütende Antwort, immer noch aus dem Off. Doch es dauert nur Sekunden, bis eine Hand ins Bild ragt und das Geld grapscht. Thomas muss grinsen. Der sonst so rechtschaffene und ordnungsliebende Taxifahrer hat eine Lektion gelernt, die sich als ironisch-kritischer Faden durch den Film zieht: Geld regiert die Welt.
Levan, der Kopf des Russenstrios, hat das wohl früh kapiert. Wir erfahren zwar nicht, woher der Reichtum stammt, den er verprasst – ob er ein Oligarch ist oder ein Gangster. Aber eines scheint klar: Im Gegensatz zu seinem Hund hat er nicht jeden Kampf gewonnen, sonst wäre er nicht auf der Flucht im fremden Deutschland, wo er jemanden wie Thomas unbedingt braucht: einen unscheinbaren Jedermann voller Kadavergehorsam, der keine Fragen stellt. Aber irgendwann, ganz schleichend und unmerklich, ist Thomas nicht mehr der, der er einmal war.
Ohne die Spannungsdramaturgie zu lockern, reichert Regisseur Dito Tsintsadze („Der Mann von der Botschaft“, 2006), der seit langem in Berlin lebt, den Thrill mit opernhaften Momenten an. Zu den sakralen Klängen von Antonio Vivaldis „Filiae maestae Jerusalem“ schwelgt die Kamera in Zeitlupen, die große Gefühle evozieren: Liebe, Freundschaft, Verrat. Der Film begibt sich in surreal anmutende Räume: eine altehrwürdige Schwimmhalle im schicken Baden-Baden, ein verwunschenes Haus, ein kurioses Theater. Alles könnte auch ein schöner Traum gewesen sein, obwohl die Handlung den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen so nahe kommt. Schon vor dem russischen Angriffskrieg begonnen, spiegelt der Film sehr präzise die Gegensätze zwischen Ost und West, ebenso wie die wechselseitigen Vorurteile und Animositäten. Dabei bleibt er in seinen Metaphern zugleich deutungsoffen. In ruhigen Bildern nimmt die Kamera eine Beobachterposition ein, was Raum für schwarzen Humor, scharfsinnige Ironie und eigenes Nachdenken schafft.
Unübersehbar im Zentrum all dieser Elemente steht die allmähliche Wandlung eines Jedermann. Thomas, der am liebsten unsichtbar sein wollte, tritt nach und nach ins Licht. Aus Passivität wird Handeln, aus Ohnmacht die Freude über die neu gewonnene Dominanz. Und zwar nicht mit Hurra und lautem Gebrüll, sondern ganz leise hinter der unverändert freundlichen Fassade. So wie Thomas früher Befehle ausgeführt hat, so korrekt und entspannt zieht er nun Strippen, von denen die anderen keine Ahnung haben. Kaum ein Schauspieler ist für die Rolle so geeignet wie Devid Striesow, der oft so lieb und nett daherkommt und ebenso oft kalt und berechnend wirkt. Wie glaubwürdig er zwei Gesichter in ein und derselben Person vereint, zeigte er schon früh in seiner Karriere, nämlich als Hochstapler in „So glücklich war ich noch nie“ (2009) von Alexander Adolph. 14 Jahre später läuft er erneut zu Hochform auf, mit seinem verlegen-unsicheren Lächeln, das sich als Pokerface erweist.
„Roxy“ erzählt von einem unscheinbaren Taxifahrer, der den Verlockungen des schnellen Geldes erliegt. Regisseur Dito Tsintsadze kombiniert in seinem 13. Film eine betörende Spannung mit opernhafter Wucht und einer guten Portion schwarzen Humors.