Der Dichter und Philosoph Friedrich Hölderlin (1770-1843) fasziniert die Menschen seit mehr als 250 Jahren. Abertausende Bücher wurden über ihn geschrieben, eine ganze Menge Filme gedreht. Auch die Komponisten ließen sich von ihm inspirieren, klassische wie moderne. Allein im 20. Jahrhundert vertonte man Hölderlins Gedichte und andere Schriften über 1800 Mal. Diesem meist weniger beachteten musikalischen Aspekt spüren die Dokumentarfilmer Susanne Marschall und Hannes Rall nach, in einem kreativen Dialog zwischen Animation und Realfilm, Wort und Klang, skizzenhafter Biografie und historischer Einordnung. Entstanden ist ein Film nicht nur für Liebhaber, sondern auch für Neugierige und für alle, die sich in irgendeiner Weise für die Künste interessieren.
Eigentlich ist die Sprache Hölderlins selber so musikalisch, dass man sie fast singen kann. Das sagt Hartmut Höll, Professor für Liedgestaltung an der Musikhochschule Karlsruhe. Gleich darauf demonstriert die chinesische Sopranistin Yue Wang, wie das gemeint ist. Sie rezitiert Hölderlins spätes Gedicht „Der Frühling“ und ihre sanfte Stimme malt die Laute geradezu: ausdrucksvoll, in einer Art Sprechgesang, sich wiegend im Rhythmus: „Wenn auf Gefilden neues Entzücken keimt“. Der spätere Dichter war höchst musikalisch, er spielte Klavier und Flöte. Mit 19 notierte er sogar eine Kadenz, die der Flötist Pirmin Grehl im Film am Ufer des Neckars vorträgt, unterhalb des Tübinger Turms, in dem Hölderlin die letzten 36 Jahre seines Lebens verbrachte. Wegen einer Gemütskrankheit, sagen manche, andere vermuten einen bewussten, als Wahnsinn maskierten Rückzug.
Begonnen hatte die Vita, die der Film nicht-chronologisch streift, viel hoffnungsvoller. „So komm! Dass wir das Offene schauen“ heißt es in der Elegie „Brod und Wein“. Und die Zeichentrickszenen von Hannes Rall, Professor für Animation in Singapur, stoßen visuell das Fenster weit auf, gleiten über den Fluss hinein in eine liebliche, harmonische Natur, wild und unberührt, so wie sie der junge Friedrich selbst erfahren haben mag auf seinen langen Wanderungen, quer durch Deutschland und zuletzt sogar bis nach Bordeaux. Aber die Trickszenen bebildern nicht etwa nur, wovon es keine Filme gibt. Sondern sie öffnen sich selbst der Fantasie, lassen sich tragen von den Worten, hören ihnen nach und machen sich einen eigenen Reim darauf.
In den dazwischen geschnittenen Realszenen spielt Professor Hartmut Höll so etwas wie einen literarisch-musikalischen Touristenführer. Mit der Meisterschülerin Yue Wang spaziert er durch Tübingens Gassen, besucht die prägenden Orte und lässt für germanistische Laien das tragische Schicksal Hölderlins Revue passieren: das Theologiestudium im Tübinger Stift, wo er mit Hegel und Schelling lieber philosophierte als über den Glauben nachdachte; seinen Aufbruch nach Jena, wo er bei Fichte studierte; seine abrupte Abreise nach Frankfurt, wo er sich als Hauslehrer der Familie Gontard unsterblich in die verheiratete Susette verliebte; seinen Fußmarsch nach Bordeaux, wo er ein neues Leben aufbauen wollte und von dem frühen Tod Susettes erfuhr, über den er nie hinwegkommen sollte; seinen ebenso abrupten Aufbruch nach Bad Homburg, zu seinem Studienfreund Isaac von Sinclair, einem Jakobiner, der nach einer Intrige wegen Hochverrats verhaftet wurde; die erneute Flucht, diesmal vor der Polizei, und schließlich den endgültigen psychischen Zusammenbruch, als der rastlose Hölderlin sein tragisches Schicksal nicht mehr ertrug.
Die angerissene Biografie ist dabei nur ein Nebenschauplatz. Zentral dreht sich „Hölderlins Echo“ um den Klang seiner Gedichte und darum, wie viele Generationen von Komponisten in diesen Klang hineinhörten, wie sie dem gedruckten Wort neue Räume öffneten und etwas Eigenes schufen, das aus dem Dialog von Lyrik und Musik entsprang. Besonders berührend: Wie der jüdische Komponist Viktor Ullmann (1898 bis 1944) im Konzentrationslager Theresienstadt Hölderlins Gedicht „Abendphantasie“ vertonte, mit der wunderschönen Zeile „Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf“ und dann dem Absturz in die dunkle Nacht. „Das ist das unglaublichste Lied überhaupt“, sagt Sängerin und Professorin Mitsuko Shirai, die zweite wichtige Protagonistin des Films, und wischt sich die Tränen aus den Augen.
Als „experimentellen Dokumentarfilm“ kündigen die Regisseure Susanne Marschall, Tübinger Professorin für Medienwissenschaft, und Hannes Rall das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit an. Das ist richtig, wenn man auf die Verschränkung von Animation und Dokumentation und ihre Verschmelzung mit den Kunstformen Musik und Poesie schaut. Aber zur ganzen Wahrheit gehört auch ein gewisser, im positiven Sinne didaktischer Aspekt von „Hölderlins Echo“. Die assoziative Filmstruktur ist nicht so komplex, dass sie ins Unverständliche kippen würde. Und sie wendet sich auch nicht nur an Musikbegeisterte oder an studierte Germanisten. Sondern an alle, die neugierig sind auf einen der größten Dichter deutscher Sprache und sich anregen lassen wollen, mal wieder oder zum ersten Mal einen Text von ihm in die Hand zu nehmen. Oder ein Lied zu hören.
„Hölderlins Echo“ spürt auf ebenso aufschlussreiche wie berührende Weise den Wirkungen großer Dichtkunst auf Komponisten und Sänger nach. Die Regisseure Susanne Marschall und Hannes Rall verschränken dabei Animation und Realfilm, Wort und Klang zu einem spannenden Dialog.