Ihr Fall erregte 2014 internationale Aufmerksamkeit: Die Iranerin Reyhaneh Jabbari wurde hingerichtet, weil sie sich gegen eine versuchte Vergewaltigung wehrte. Sie stach mit einem Messer zu, der Täter starb. Nach westlichem Rechtsverständnis ein klarer Fall von Notwehr, nach Lesart der Herrscher im Iran etwas, das nicht sein darf: Ein religiöser Mann, der lange beim Geheimdienst gearbeitet hat, sollte durch ein krasses Fehlurteil posthum reingewaschen werden. Regisseurin Steffi Niederzoll rollt in „Sieben Winter in Teheran“, ihrem ersten langen Dokumentarfilm, die Schicksale auf, die hinter den Nachrichtenbildern stecken: zum einen die bewundernswerte moralische Kraft des Opfers Reyhaneh Jabbari, die in der Haft zu einer Kämpferin für Frauenrechte reifte. Und zum anderen zeigt sie den unerschütterlichen Kampf ihrer Familie gegen das Todesurteil, vor allem den ihrer Mutter Shole, die bis zur letzten Sekunde auf Gnade für ihre Tochter hoffte.
„Ich will allen meine Geschichte erzählen“, sagt Reyhaneh Jabbari in einem ihrer letzten Telefonate aus dem Gefängnis. Die Menschen sollen sie hören und sich dann ihr eigenes Urteil bilden. Lange blieb der jungen Frau, die zum Tatzeitpunkt 19 und bei ihrer Ermordung durch die Staatsgewalt 26 Jahre alt war, dieser Wunsch versagt. Für iranische Filmemacher war es zu gefährlich, sich des Falls anzunehmen. Andere konnten nicht das Vertrauen ihrer Mutter Shole gewinnen. Per Zufall kam die Deutsche Steffi Niederzoll, die damals mit ihrem iranischen Freund liiert war, in Kontakt mit dem weiteren Umfeld der Familie Jabbari. Sie erfuhr, dass es eine Menge Handyvideos gab, die aus dem Iran herausgeschmuggelt wurden.
Dabei handelt es sich um teils privates Material, ursprünglich gedacht fürs Familienalbum, teils aber auch um recht brisante Videos, heimlich gedreht, sogar im Gefängnis. Steffi Niederzoll und ihre Cutterin Nicole Kortlüke konnten dank dieses Herzstücks – umrahmt von aktuellen Interviews mit den Familienmitgliedern und Nachdrehs im Iran – Reyhaneh Jabbari selbst sprechen lassen, zum einen in mitgeschnittenen Anrufen aus dem Gefängnis, zum anderen durch Reyhanehs Briefe, die von der Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi eingesprochen werden („Holy Spider“, Beste Darstellerin in Cannes 2022). Und durch die Familienvideos, die sie als lebensfrohes Kind und Jugendliche vor dem verhängnisvollen Wendepunkt ihres Lebens zeigen.
Es ist das wunderbare Feingefühl von Regisseurin und Cutterin, das diesen Film trotz seines überwiegend traurigen Sujets leuchten lässt. Alles steht hier im Dienst der Person und ihres Anliegens, nichts wirkt gekünstelt oder hergeholt, es gibt keine Propaganda und keine offene Parteinahme. Das filmische Statement besteht allein darin, Reyhaneh wieder lebendig werden zu lassen und die Fakten fein säuberlich auf den Tisch zu legen. Denn die Tatsachen, von denen diktatorische oder populistische Regime nichts hören wollen, sprechen für sich.
Man wird fürchterliche und zum Teil unglaubliche Dinge in diesem Film erfahren, von denen weite Teile der deutschen und internationalen Öffentlichkeit nichts ahnen. Zum Beispiel die Folter- und Verhörpraktiken, oder die 30 Peitschenhiebe, die Reyhaneh bereits vor dem Prozess erdulden musste, wegen des „Führens einer unerlaubten Beziehung“. Oder das Austauschen des Richters, nachdem der erste Jurist Widersprüche in der Anklage sah und den Fall neu aufrollen wollte. Das Ungeheuerlichste ist aber die Verhaftung von Reyhanehs 14-jähriger Schwester wegen angeblicher „Beihilfe zum Mord“. Als die Folterknechte der seit zwei Monaten Gequälten androhen, die Schwester ebenfalls zu foltern, bricht ihr Widerstand zusammen und sie unterschreibt das falsche Geständnis, sie habe die Tatwaffe selbst gekauft.
Trotz alledem ist „Sieben Winter in Teheran“ kein durchweg düsterer, sondern zum Teil auch optimistischer Film. Das hängt nicht nur mit der Würde zusammen, die er einer zu Unrecht Ermordeten zurückgibt. Sondern auch mit einer Besonderheit des iranischen Rechts der „Blutrache“. Die Familie des getöteten Ex-Geheimdienstlers durfte Reyhaneh begnadigen und war auch dazu bereit, aber nur unter einer Bedingung: dass sie den Vergewaltigungsvorwurf fallen lässt. Mutter Shole bedrängte ihre Tochter mit Engelszungen, auf dieses Angebot einzugehen. Denn sie hätte dem Tod durch den Strang entgehen können, wenn sie gewollt hätte. Doch die Tochter stellte den Wert der Wahrheit über ihr eigenes Leben.
„Ich will meine Stimme erheben für alle Frauen, die vergewaltigt oder damit bedroht wurden“, sagt Reyhaneh gegen Ende. In der Haft hatte sie sich zu einer feministischen Aktivistin entwickelt, die nicht mehr nur ihr persönliches Schicksal betrauerte. Philosophen betrachten es gern als leuchtenden Beweis für die Existenz des moralischen Gesetzes, wenn Menschen aufgrund ihrer Werte ihr Leben hingeben. In „Sieben Winter in Teheran“ lernen wir solch eine innere Stärke ganz konkret kennen, quasi von Angesicht zu Angesicht. Freiheit, sagt Reyhaneh, sei nicht die Abwesenheit von Gefängnismauern, „sondern aus den Mauern meines Geistes und meiner Seele auszubrechen“. Es hat mit dieser moralischen Kraft zu tun, dass der Film hoffnungsvoll stimmt, gerade wenn man an die aktuellen Demonstrationen im Iran wegen der Tötung von Mahsa Amini denkt. Für das bewegende Debüt von Steffi Niederzoll gab es zu Recht den Friedensfilmpreis der Berlinale und den Kompass-Perspektive-Preis (Sektion Perspektive Deutsches Kino).
„Sieben Winter in Teheran“ zeichnet auf ergreifende Weise den Passionsweg der erst 19-jährigen Reyhaneh Jabbari nach, die sich in der Haft zur Vorkämpferin für Frauenrechte entwickelte. Regisseurin Steffi Niederzoll lässt in ihrem still-behutsamen Film die zu Unrecht Ermordete wieder auferstehen.