2017 landete die Schriftstellerin Mariana Leky einen Überraschungshit. Ihr drittes Buch „Was man von hier aus sehen kann“ stand 65 Wochen auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Das Porträt eines kleinen Dorfes und seiner originellen Einwohner, denen auch übersinnliche Fähigkeiten nicht fremd sind, eroberte die Herzen der Leser und eines Großteils der Kritik durch seine eigenwillige Mischung aus liebevoller Charakterzeichnung, existenziellen Themen und schrägem Humor. In seiner komödiantischen Verfilmung hält sich Regisseur Aron Lehmann an den Geist der Vorlage, indem er ihm seine verspielte, anarchisch angehauchte Handschrift einschreibt, wie man sie von seinem Debüt „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ (2012) oder seinem dritten Spielfilm „Die letzte Sau“ (2016) kennt.
Nicht von ungefähr erinnert der schockhafte Tod eines Hundes an eine ähnliche Szene aus dem Kultfilm „Ein Fisch namens Wanda“ von John Cleese aus dem Jahr 1988. Kaum tritt die 22-jährige Luise (Luna Wedler) mit ihrem Hund „Alaska“ vor den Eingang des Buchladens, in dem sie arbeitet, beginnt das Ladenschild bedenklich zu wackeln. Was folgt, darf natürlich nicht im Detail verraten werden, ist aber typisch für die makabren Späße, mit denen der Regisseur und Drehbuchautor die Gefühligkeit des Stoffs konsequent aufraut. Allerdings hat Luise, im Gegensatz zu Ein Fisch namens Wanda, das traurige Schicksal des geliebten Vierbeiners nur fantasiert: Seit einem kindlichen Trauma fürchtet sich die junge Frau so sehr vor weiteren tragischen Ereignissen, dass ihr ständig die schlimmsten Gefahrensituationen durch den Kopf schwirren.
Trost findet sie bei ihrer fürsorglichen Oma Selma (Corinna Harfouch) und deren heimlichem Verehrer, den alle nur den „Optiker“ (Karl Markovics) nennen. Merkwürdige Dinge gehen aber auch in ihnen vor. Der Optiker wird von inneren Stimmen gequält, die jede seiner Handlungen und jeden seiner Gedanken spöttisch bis hämisch kommentieren. Und Selma verfügt über eine furchterregende seherische Fähigkeit, die dann auch die turbulente Handlung in Gang setzt: Immer wenn sie von einem Okapi träumt, stirbt jemand aus dem Dorf in den nächsten 24 Stunden.
Nicht nur die drei genannten, sondern alle Bewohner des kleinen Dorfes sind auf die eine oder andere Weise aus der „normalen“ Welt gefallen, als Sammelsurium von schrägen bis skurrilen Typen. Die Charakterzeichnung zählt zu den besonderen Stärken von Buch und Film, denn sie treibt die Zuspitzung von Ecken und Kanten nicht bis zur Karikatur, sondern stattet selbst die Nebenrollen mit einer Komplexität aus, die sie anschlussfähig macht für Sympathie und Identifikation. Und immer, wenn die märchenhafte Szenerie, die an „Die fabelhafte Welt der Amélie“ (2001) erinnert, zu gefühlsduselig gerät, fährt die Komödie der Kitschgefahr mit kuriosen Einfällen und running Gags in die Parade. Dass wir alle ein bisschen schräg und gerade deshalb liebenswert sind, wäre – offen ausgesprochen – eine zu banale Botschaft. Man darf sie aber unter der knallbunten, überhöhten und zuweilen surrealen Oberfläche gerne selbst entdecken.
Ganz offensichtlich geht es, ausgelöst durch die akute Lebensgefahr für jeden der Dorfbewohner, um
die großen Fragen des Lebens. Was möchte man vor seinem Tod noch erledigen? Welche lang gehüteten Geheimnisse enthüllen? Mit wem sich noch aussöhnen? Darin steckt die Sinnfrage, mit der sich Philosophen und Theologen seit Tausenden von Jahren abmühen. Warum soll man morgens überhaupt aus dem Bett steigen, warum sich abmühen und ein guter Mensch sein, wenn der Tod sowieso alles zunichtemacht? Eine Antwort kann und will auch diese anarchische Wohlfühlkomödie nicht geben. Aber man sollte die Gruppe von Buddhisten nicht unterschätzen, die bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit durchs Bild laufen. Sie dienen nicht nur als running Gag, sondern auch als Orientierungshilfe in einer Welt, für die das kleine Dorf als Metapher dient. Warum dem Chaos des Lebens nicht mit einer Akzeptanz begegnen, die sich aus dem Fokus auf das Hier und Jetzt speist? Die Machart des Films wird dabei selbst zum Okapi, dieser merkwürdigen Mischung aus Zebra und Giraffe. Keine seiner Eigenschaften scheint zusammen zu passen, aber letztlich formen sie sich doch zu einem wunderschönen Ganzen.
Aus dieser märchenhaften Prämisse entwickelt Regisseur Aron Lehmann in seiner Romanverfilmung eine turbulente Komödie mit viel Herzblut und einer Prise schwarzem Humor.