Regisseur und Autor Lars Kraume zählt zu den vielseitigsten und fleißigsten deutschen Filmemachern. Sein Renommee gründet sich auf historisch-gesellschaftskritischen Arbeiten wie „Der Staat gegen Fritz Bauer“, 2015) oder „Das schweigende Klassenzimmer“, 2018). Aber er ist auch sehr häufig fürs Fernsehen aktiv. Manchmal dreht er sogar Komödien, wie aktuell „Die Unschärferelation der Liebe“. Die späte Liebesgeschichte nach dem Theaterstück „Heisenberg“ von Simon Stephens erzählt von dem krassen Gegensatz zwischen dem extrem extrovertierten Wirbelwind Greta (Simone Peters) und den in sich gekehrten Alexander (Burghart Klaußner), aber auch von der Einsamkeit und der unverhofften Chance auf ein bisschen Glück. Zum Filmstart sprachen wir mit Lars Kraume über den Drehort Berlin, über „minimal invasives“ Regieführen und über seinen Respekt vor dem Komödiengenre.
Die Idee zum Film kam nicht von Ihnen, sondern von Hauptdarsteller Burghart Klaußner. Hat er viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Sie zu diesem Projekt zu bewegen?
Nein. Ich sollte 2016 schon das Theaterstück mit den beiden inszenieren. Aber ich hatte damals keine Zeit. Trotzdem schätze ich an dem Stück die tolle Geschichte und die tollen Figuren. Weil die Theateraufführungen sehr erfolgreich liefen, kam Burghart zu mir mit der Idee, das auch zu verfilmen. Ich musste also nicht überzeugt werden.
Die Dialoge waren durch das Theaterstück quasi vorgegeben, die Rollen besetzt. Haben Sie an den Dialogen während der Drehbuchentwicklung noch etwas geändert?
Zu 95 Prozent haben wir das eins zu eins übernommen.
Die Stadt Berlin ist mehr als nur ein Hintergrund für den Film, sondern fast so etwas wie ein dritter Akteur. Was waren die Gründe, in der größten deutschen Metropole zu drehen und nicht etwa in München oder Köln?
Im Grunde könnte der Film in jeder großen Stadt spielen. Das Originalstück hat London als Schauplatz, weil Simon Stephens Engländer ist. Berlin ist als größte deutsche Metropole prädestiniert für einsame Großstädter. Die gibt es natürlich auch in jeder anderen großen oder mittleren deutschen Stadt. Dennoch passen die Figuren genau dahin, wo die Geschichte jetzt spielt. Ich glaube, dass der Film anders aussehen müsste, wenn wir ihn etwa in München gedreht hätten. Denn das Kaputte, was Berlin hat, spielt eine Rolle. Nehmen Sie zum Beispiel den ersten Drehort am Halleschen Tor, wo die beiden sich kennenlernen: Da wird eben auch deutlich, wie hässlich Berlin manchmal ist. Anfangs wird es als anstrengende und laute Stadt gezeigt. Dadurch ist der Kontrast umso größer, wenn sie später in den Tiergarten gehen, um dort das „Carillon“-Glockenturmspiel zu hören. Plötzlich kommt etwas ganz Ruhiges und Romantisches in die Atmosphäre der Handlung.
Interessant finde ich auch, dass Alexander, die Figur von Burghart Klaußner, immer zu Fuß unterwegs ist, oft kilometerweit. Einerseits ist er unendlich einsam. Aber wenn er durch die volle Stadt läuft, begibt er sich unter Menschen.
Ja, alle beide sind in dieser Stadt, in der sie vielen Menschen begegnen, unendlich einsam.
Mit Burghart Klaußner haben Sie schon mehrfach gedreht, mit Caroline Peters ist es das erste Mal. Sie hat ja ein ungeheures Talent für die Komödie. Konnten Sie das einfach ausnutzen oder wollten Sie bestimmte Dinge in ihrem Spiel verstärken?
Als Regisseur habe ich an diesem Film minimal invasiv gearbeitet. Es gibt eben den Text von Simon Stephens, dann ich ganz toll finde, sowie zwei Schauspieler, die das Stück auf der Bühne schon sehr erfolgreich gespielt haben. Sie kannten ihre Figuren besser als ich. Insofern lag meine Aufgabe nur darin, die Partner zusammen zu bringen, die den Film dann letztlich realisiert haben, und auch darin, all dem Talent nicht im Wege zu stehen, das da versammelt war, etwa mit Regieanweisungen.
Das deckt sich mit einer Aussage von Caroline Peters. Sie sagt, sie habe bei Ihnen das Gefühl, Sie schauten beim Dreh einfach nur zu. Ist es wirklich so simpel?
Manchmal ist das vielleicht genau die Aufgabe des Regisseurs. Es gibt doch diesen Spruch: Das Bessere ist des Guten Feind. Wenn man alles immer verbessern will, wird es oft schlechter.
Sie sind eher für gesellschaftspolitische Themen bekannt, gerade erst lief „Der vermessene Mensch“ in den Kinos. Komödien findet man in ihrem Werk auch, aber selten. Welchen Anspruch haben Sie an die Komödie?
Mein erster Film nach der Filmhochschule, „Viktor Vogel – Commercial Man“ (2001), war eine Komödie. Ich habe mich allerdings nicht allzu oft an das Genre herangetraut, weil die Komödie etwas besonders Schwieriges ist. Zum Beispiel habe ich am Drehbuch der romantischen Teenie-Komödie „Das schönste Mädchen der Welt“ (2018) von Aron Lehmann mitgeschrieben. Ich finde die Komödie ein tolles Genre, aber man muss auch Respekt vor ihr haben. Nichts ist schlimmer als ein Witz, über den keiner lacht.
Vermutlich ist es kein Zufall, dass es der Begriff der Unschärferelation sogar in den Filmtitel geschafft hat. Hat Sie diese Übertragung einer physikalischen Theorie auf die Liebe und vielleicht auch auf das Menschsein als solches fasziniert?
Das ist eine theoretische Ebene in dem Text, die dem Stückeautor Simon Stephens mehr bedeutet als mir. Aber die Ebene ist eben da drin, das Originalstück heißt „Heisenberg – The indeterminacy Principle“, auf Deutsch „Heisenberg – Die Unschärferelation“. Es gibt dadurch den Bezug zur physikalischen Teilchen- und Quantenmechanik. Simone Peters‘ Figur Greta sagt einmal, dass großstädtische Menschen wie Molekularteilchen sind, die mit Abstand umeinander herumschwirren. Natürlich nehme ich diese Metaphorik und diese ganze Ebene zur Kenntnis, aber ich bin kein Physiker.
Ich meinte nicht die Physik an sich, sondern die Übertragung auf das menschliche Leben.
Die Symbolik, die da drinsteckt, finde ich schön und auch passend für die Figuren. Natürlich ist das der Kern der Geschichte, dass diese beiden Charaktere auf zufälligen Begegnungen ihre Biographien aufbauen, so wie wir alle. Und dass sie sich anziehen und abstoßen und eben das machen, was die Teilchen auch so tun.
Wenn man sich Ihre Filmografie anschaut, die ja auch das Fernsehen umfasst, stößt man auf eine ungeheure Produktivität. Würde Sie es nerven, wenn Sie nur alle drei bis vier Jahre einen Film realisieren könnten?
Nerven würde es mich nicht. Manchmal würde ich gern weniger drehen und dafür genauer arbeiten. Aber man kann es sich nicht immer aussuchen und insgesamt arbeite ich eben gerne. Wenn für einen Film wie „Die Unschärferelation der Liebe“ nur ein kleineres Budget möglich ist, sehe ich das als Herausforderung, die ich selbstverständlich annehme. Wir arbeiten immer in den Möglichkeiten, die uns gegeben sind. Manchmal gibt es eine Chance für einen Fernsehfilm und manchmal für einen Kinofilm. Wichtig dabei ist, dass ich versuche, nur Projekte zu realisieren, die mir auch Spaß machen. Dadurch, dass das Kino so viele Facetten hat, bringt es die schöne Herausforderung mit sich, immer wieder an unterschiedlichen Dingen zu arbeiten.
Sie drehen immer wieder auch „Tatorte“. Was fasziniert Sie am Bösen und am Verbrechen?
Das Böse hat nicht nur mit den „Tatorten“ zu tun. Man findet es auch in „Der vermessene Mensch“ oder „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) oder „Das schweigende Klassenzimmer“ (2018). Irgendwo steckt in jedem Drama ein Kampf von gut gegen böse. Das hat mit der Widersprüchlichkeit des Menschen zu tun, einerseits zu unglaublich Schönem fähig zu sein, und andererseits zu unglaublichem Horror.
Man kann in diesem Jahr zwei Kinofilme von Ihnen kurz hintereinander sehen. Können Sie schon über Ihre nächsten Projekte sprechen?
Ich habe eine Menge in der Entwicklung. Richtig spruchreif ist im Moment nur, dass ich im Herbst vermutlich wieder einen „Tatort“ drehe. Aber ich schreibe auch an einer großen historischen Serie und an verschiedenen Kinoprojekten. Gerade historische Stoffe interessieren mich, weil man da ganze Welten kreieren kann und nicht so sehr an die Gegenwart gebunden ist. Ich habe auch eine Science Fiction-Story in der Entwicklung. In die Zukunft zu blicken, heißt ja ebenfalls, ein eigenes Universum zu erfinden.
Zur Person:
Lars Kraume wurde 1973 im italienischen Chieti geboren und wuchs in Frankfurt am Main auf. Durch seinen Vater, der in der Werbung tätig war, wurde er schon während seiner Schulzeit an Fotografie und Film herangeführt. Nach dem Abitur arbeitete er zunächst zwei Jahre als selbstständiger Fotograf. Ein Kurzfilm, den er bereits mit 17 gedreht hatte, ermöglichte ihm den Sprung an die „Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin“, wo er von 1994 bis 1998 Regie studierte. Für seinen Studienabschlussfilm „Dunckel“ erhielt er 2000 den Adolf-Grimme-Preis. Nach einem Jahrzehnt, in dem er vorwiegend Tatort-Folgen drehte, wandte sich Kraume verstärkt Stoffen der Zeitgeschichte zu. „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (2015) bescherte ihm den bislang größten Erfolg: sechs Deutsche Filmpreise. In 2023 bringt er gleich zwei Filme ins Kino, das Kolonialdrama „Der vermessene Mensch“ (schon angelaufen) und „Die Unschärferelation der Liebe“. Lars Kraume lebt mit seiner Familie in Berlin.