Die Regisseurin und Romanautorin Sonja Heiss legt im Schnitt nur alle sieben Jahre einen neuen Film vor. Aber wenn, dann sind ihre Arbeiten immer preisverdächtig. In „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“, verfilmt sie erstmals einen Roman, nämlich das autobiografische Werk des Schauspielers Joachim Meyerhoff. In dem Roman mit demselben Titel verarbeitet Meyerhoff seine Kindheits- und Jugendjahre sowie die Beziehung zu seinem Vater. Der kleine Joachim, als Kind gespielt von Camille Loup Moltzen, wächst in den 1970er Jahren in einer ungewöhnlichen Umgebung auf. Sein Vater Richard (Devid Striesow) ist Direktor einer großen Kinder- und Jugendpsychiatrie und hat moderne Ansichten. Joachim darf frei auf dem Gelände herumstromern, einige der Kranken sind seine Freunde. Wenn der Vater Geburtstag hat, sitzen die liebsten Patienten mit am Kuchentisch. Mutter Iris (Laura Tonke) ist auch nicht gerade Mainstream für die damalige Zeit. Sie malt Bilder und träumt von Italien. Aber beide Eltern reagieren recht tolerant, wenn der kleine Joachim mal wieder einen seiner Tobsuchtsanfälle bekommt, die ihn irgendwann selbst in der Psychiatrie landen lassen. Zum Filmstart eine Woche nach der Premiere auf der Berlinale sprachen wir mit Sonja Heiss über gekillte Darlings, die Recherchen zu Hermann Meyerhoff und die Lust am Romanschreiben.
Der Stoff für den Film ist Ihnen quasi ins Haus geflattert, jemand hat Ihnen das Buch geschenkt. Was hat Sie an dem Roman besonders fasziniert?
Ich mochte zum einen den Humor. In den Jahren davor hatte ich keine deutschen Bücher mit einem solch trockenen Humor gelesen. Der fühlte sich so verwandt an. Zum anderen hat das Buch eine große emotionale Tiefe. Für mich entsteht guter Humor aus dem Drama. Deshalb dachte ich sofort, daraus könnte man einen Film machen.
Wie im Presseheft zu lesen ist, brauchte es viel Geduld und Überredungskünste, um Joachim Meyerhoff von einer Verfilmung zu überzeugen. Was gab letztlich den Ausschlag, dass er ja sagte?
Darum hat sich vor allem meine Produzentin Janine Jackowski gekümmert. Joachim Meyerhoff hat lange überlegt, ob er es überhaupt verfilmen lassen will. Zudem hatte er viele Angebote. Ich denke, dass er meine Filme und die Filme, für die die Produktionsfirma „Komplizen Film“ steht, mochte und dachte, sein Buch sei bei uns in guten Händen.
Sie haben selbst 2017 den Roman „Rimini“ veröffentlicht. Ist das ein Vorteil, wenn man mit einem anderen Autor kommuniziert? Oder hindert es einen, sozusagen die filmische Brille aufzusetzen und vieles zu opfern, was man an dem Roman liebt?
Ich bin sehr gut in „Kill your Darlings“. Bei meinem Erstling „Hotel Very Welcome“ sind wir vier Monate durch Indien und Thailand gereist, mit einer Videokamera und Schauspielern in realer Umgebung. Da hatten wir 110 Stunden Material gedreht, das war eine harte Schule, so viel wegzuwerfen. Das hat sich auch auf mein literarisches Schreiben ausgewirkt, etwa bei den Kurzgeschichten, die ich vor „Rimini“ geschrieben habe. Ich bin radikal im Wegwerfen. Bei „Rimini“ habe ich am Ende auf 160 Seiten verzichtet. Wenn etwas der Geschichte nicht dient, dann muss man entsprechende Konsequenzen ziehen. Beim episodisch strukturierten Roman von Joachim Meyerhoff haben uns manche Episoden nicht geholfen, eine fortlaufende Geschichte zu erzählen. Auf die mussten wir verzichten. Im Roman gibt es zum Beispiel eine toll erzählte Schneekatastrophe. Trotz der Tatsache, dass man das gern liest, mussten wir uns davon trennen, es hätte sich wie ein Fremdkörper im Film angefühlt. Bei anderen Episoden habe ich versucht, Verbindungen zur filmischen Geschichte zu schaffen. Zum Beispiel habe ich bei der Segelprüfung der Eltern etwas gefunden, womit ich sie in die Handlung einbauen konnte. Denn da gibt es etwas, was ein Licht auf ihre Ehe wirft.
Manches haben Sie dazu erfunden. Mich würde interessieren, ob zum Beispiel die sehr filmische Szene mit dem elektrischen Messer zu Weihnachten, die auch im Trailer zu sehen ist, schon im Roman steht?
Die Szene gibt es im Roman, aber anders. Die Mutter bekommt das Messer zu Weihnachten und findet das Geschenk so daneben, dass sie anfängt, Sachen zu zerschneiden, zum Beispiel den Pansen für den Hund. Ich habe aber die Dinge verändert, die zerteilt werden, weil ich sie in Verbindung bringen wollte mit den Affären des Vaters. Deshalb zerschneidet sie Pralinen mit der Verpackung, die der Vater dann seiner Geliebten weiter verschenken soll. Ich wollte die Figur der Mutter in diesem Moment stärker haben, nicht so verzweifelt, wütend und hilflos, sondern ironisch. Sie macht sich hier über den Vater und sein dämliches Geschenk lustig.
Auch Ihr Vorgängerfilm „Hedi Schneider steckt fest“ behandelte ernsthaft psychische Probleme mit einer bewundernswerten Leichtigkeit. Würden Sie zustimmen, wenn man sagt, Sie sind inzwischen eine Spezialistin für diese ganz besondere Kombination geworden?
Beide Male spielen Psychiatrie und Psychologie eine Rolle, aber ganz unterschiedlich. Bei Hedi habe ich eine psychisch kranke Protagonistin und hier leben die Kranken ja nur im Umfeld, also in der Klinik, auf deren Gelände die Familie Meyerhoff wohnt. Tatsächlich ist das eine Welt, die mich sehr interessiert. Gemeinhin sprechen die Leute von „normal“ und „nicht normal“, aber ich finde, diese Unterscheidung gibt es gar nicht. Die vermeintlichen Grenzen lösen sich ja im Film auch ganz schön auf. Generell finde ich, das Leben an sich ist tragisch und komisch zugleich. Deswegen ist auch mein Roman und eigentlich alles, was ich mache, tragikomisch. Ganz ohne Humor macht es mir auch keinen Spaß.
Der Film blickt mit den Augen eines Kindes und später Jugendlichen auf dieses ungewöhnliche Aufwachsen. Aber es ist auch ein Film über den Vater, der im Film Richard und im echten Leben Hermann heißt bzw. hieß. Was haben Sie in Ihren Recherchen über Hermann Meyerhoff herausgefunden? Hat er wirklich mit seinen Lieblingspatienten zusammengelebt?
Hermann Meyerhoff war nicht der Initiator der Psychiatriereform. Aber er war ein sehr moderner Psychiater, der wirklich etwas verändert hat in dem Landeskrankenhaus, in dem er gewirkt hat. Tatsächlich, das steht auch im Roman, hat er lieber die Patienten zu seinem Geburtstag eingeladen als irgendwelche Bekannten. Mit Ausnahme seines Rotary-Clubs hatte er wenig Lust auf soziale Kontakte außerhalb der Psychiatrie. Ich fand toll, dass er seine Patienten so geliebt hat. Bei meinen Recherchen habe ich herausgefunden, dass Hermann Meyerhoff keineswegs ein Einzelfall war, was die Liebe zu seinen Patienten betrifft. Ich besuchte beispielsweise akut-psychiatrische geschlossene Abteilungen, in denen Menschen mit schweren Psychosen und tiefen Depressionen behandelt werden und empfand es als nicht einfach, damit umzugehen. Nicht emotional zu reagieren. Deshalb fragte ich die Ärzte, wie sie das hinkriegen, ständig mit solch schweren Fällen konfrontiert zu sein. Alle sagten, sie lieben ihren Beruf und ihre Patienten sehr und sind begeistert vom menschlichen Gehirn. Das ist doch interessant, oder?
Ab welchem Zeitpunkt wussten Sie, dass Devid Striesow und Laura Tonke ein derart verrücktes und trotzdem glaubwürdiges Paar abgeben würden? Ich weiß gar nicht, ob sie schon mal als Paar vor der Kamera standen.
Nein, sie waren noch nie ein Filmpaar. Wir haben ein großes Casting gemacht und Schauspielerinnen und Schauspieler eingeladen. Laura hat aber einfach komplett den gleichen Sinn für Humor wie ich. Wenn sie meine Dialoge liest, spielt sie sie genau so, wie ich es gemeint habe. Und Devid trifft präzise die Zwischentöne eines Vaters, auf den man oft wütend ist, der aber gleichzeitig sehr lustig und warmherzig agiert. Es gab tatsächlich mehrere Konstellationscastings. Da kam es natürlich auch darauf an, dass sie eben nicht das perfekte Paar abgeben. Denn so war die Ehe der Meyerhoffs nicht.
Es war Ihnen wichtig, auch Laiendarsteller in den Rollen der Behinderten dabei zu haben. Warum?
Für mich ist es selbstverständlich, dass man Rollen von Menschen mit Behinderung auch mit Menschen mit Behinderung besetzt. Das ist nichts, was man spielen kann und soll. Dabei kommt nur ein unglaubwürdiges Imitieren heraus. Und es gibt ja, wie man jetzt sieht, sehr viele talentierte Darsteller mit Behinderung. Das hat uns viel Spaß gemacht und ihnen auch. Normalerweise werden Menschen mit Behinderung im Film fast immer gleich dargestellt. Das ist ein bestimmtes Klischee, das immer wiederholt wird. Aber Menschen mit Behinderung sind genauso unterschiedlich wie Menschen ohne Behinderung. Es war mir wichtig, das im Film zu vermitteln.
Was macht Ihnen im Moment mehr Spaß, die Arbeit an einem Roman oder an einem neuen Drehbuch?
Wenn man das Schreiben an sich betrachtet, ist Literatur etwas Schöneres. Denn man kann mit Sprache spielen, ist ganz frei, kann sich sonst was ausdenken, ohne dass es Geld kostet. Man hat innere Monologe. Ein Drehbuch ist dagegen begrenzt, da kann man nur schreiben, was man sehen kann. Auf der anderen Seite ist Schreiben sehr viel einsamer, deswegen drehe ich auch immer noch gerne Filme oder Serien. Ich finde es toll, Schauspieler zu inszenieren oder Welten zu kreieren.
Und aktuell, haben Sie schon mit etwas Neuem begonnen?
Ich habe mit dem nächsten Roman angefangen und bin parallel dabei, zwei Serienprojekte anzustoßen. Ich will gerne einmal seriell erzählen und glaube zudem, dass es angesichts der Lage des Kinos sinnvoll ist, zweigleisig zu fahren.
Zur Person
Die Regisseurin, Drehbuchautorin und Schriftstellerin Sonja Heiss stammt aus München und lebt in Berlin. Sie studierte an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film und arbeitete parallel zum Studium als Casting-Direktorin für Werbung. Später begann sie auch Regie bei Werbespots zu führen. Ihr erster Langfilm, „Hotel Very Welcome“ (2007), feierte seine Premiere bei der Berlinale in der „Perspektive Deutsches Kino“ und gewann zahlreiche Preise, darunter den First Steps Award. Auch „Hedi Schneider steckt fest“ (2015) wurde auf der Berlinale (Sektion Forum) gezeigt. Der Film gewann den Hessischen Filmpreis.