Die 1990er Jahre waren eine spannende Zeit im Damentennis. Allmählich ging die Ära von Steffi Graf zu Ende. Ein Wunderkind namens Jennifer Capriati trat auf den Plan, war aber mit dem kometenartigen Aufstieg bald überfordert. Skandale und Burnout führten zu einem Karriereknick. Ebenfalls im Kindesalter liefen sich zwei schwarze Spielerinnen warm, die nach der Jahrtausendwende das Zepter auf dem Tennisthron übernehmen würden. Der Spielfilm von Marcus Reinaldo Green rückt allerdings nicht die Schwestern Venus und Serena Williams in den Mittelpunkt, sondern ihren Vater Richard – mit Will Smith in einer Glanzrolle.
Ist das ein Wahnsinniger? Oder nur einer, der fest daran glaubt, dass der amerikanische Traum auch für Schwarze gilt? Richard Williams (Will Smith) schreibt schon vor der Geburt seiner Töchter Venus (Saniyya Sidney) und Serena (Demi Singleton) einen 85-seitigen Plan, wie er die beiden in die Weltspitze des Damentennis katapultieren möchte. Und das, obwohl Richard und seine zweite Frau Brandy (Aunjanue Ellis) den Sport erst seit kurzem praktizieren und sich alles Trainingswissen aus Zeitschriften und Büchern anlesen. Im Fernsehen hatte Richard gesehen, wie eine Spielerin bei einem Turnier 40.000 Dollar gewann – da kam ihm die Business-Idee. Wer sich nur ein bisschen für Tennis interessiert, weiß, dass der verrückt klingende Plan am Ende aufgegangen ist. Wie „König Richard“ das geschafft hat und wie Serena und Venus sich dabei fühlten, erzählt nach wahren Begebenheiten Regisseur Marcus Reinaldo Green in einem packenden Drama um einen streitbaren und umstrittenen Tennispapa, wie ihn die Welt wahrscheinlich noch nie gesehen hat.
Ein Schwarzenghetto in Compton, Kalifornien: Tunde (Mikayla Lashae Bartholomew), mit 16 die älteste der fünf Schwestern und Halbschwestern im Hause Williams, wird von älteren Jugendlichen angemacht. Sie versperren ihr den Weg, rufen ihr anzügliche Bemerkungen nach, nicht zum ersten Mal. Papa Williams hatte den Anführer der Gang schon mehrmals höflich gebeten, seine Tochter in Ruhe zu lassen. Das tut er auch jetzt wieder, aber dieses Mal packt den jungen Schwarzen die Wut. Es kommt zur Schlägerei, die Gangmitglieder helfen ihrem Boss, Richard ist hoffnungslos unterlegen. Blutverschmiert schleppt er sich nach Hause, beruhigt seine Frau und macht sich fertig zum Dienst als Wachmann. Schläge einstecken, Wut unterdrücken, weitermarschieren – das ist der Kern von Richards Lebensphilosophie.
Zugleich verdeutlicht die Szene, was den schillernden Mann antrieb. Im Ghetto gab es für ihn nur zwei Wege, entweder hinaus in eine bessere Welt oder hinein in einen Sumpf aus Gewalt, Drogen, Prostitution. Und: Er wollte es besser machen als sein eigener Vater, der wegsah, wenn der Sohn verprügelt wurde. So etwas werde seinen Töchtern nie passieren, verspricht er ihnen. „Euch wird man respektieren.“ Das ist bierernst gemeint, aber Richard ist nicht nur ein Prediger, sondern ein leicht verrückter, immer zu Scherzen aufgelegter Vater. In der meisten Zeit des Films, der mit Venus‘ erstem Profi-Turnier als 14-Jährige endet, sieht man die angehenden Tennisstars lachen, Spaß haben und mit ihren drei Stiefschwestern herumtollen. Im ikonischen, leicht hippiemäßigen VW-Bus fährt der ebenso liebenswerte wie eigensinnige Vater die komplette Familie keineswegs nur zum Tennisplatz.
„King Richard“ ist kein klassischer Sportfilm, obwohl gegen Ende entscheidende Momente aus Venus‘ ersten Profiauftritten von den Schauspielern sowie ihren hart aufschlagenden Doubles nachinszeniert werden. Das Drama ist eine ganz eigene Mischung aus Familiengeschichte, Rassismus-Thematik, Filmbiografie und Charakterstudie, herausragend gespielt von Will Smith in der Titelrolle, aber auch von Aunjanue Ellis als seiner Frau, die den Egomanen immer wieder in die Schranken weist. „Das gefährlichste Wesen in der ganzen Welt ist eine Frau, die ihren Verstand benutzt“, schärft Richard seinen Töchtern ein. Da spricht er offensichtlich aus persönlichen Erfahrungen.
Dass man die eigentlich höchst unwahrscheinliche Geschichte glaubt, hat auch mit der Offenheit der Familie Williams zu tun. So muss sich das Drehbuch von Zach Baylin nicht nur auf die 2014 erschienene Autobiografie „Black and White“ des Vaters verlassen. Schon früh flossen die Erinnerungen von Isha Prize ein, der älteren Stiefschwester von Venus und Serena, die den Film mitproduziert hat. Und auch auf die Mitwirkung der beiden Tennisstars konnten die Filmemacher setzen. Allerdings hat die Authentizität auch ihren Preis. Einen Tick zu glatt wirkt manchmal die flüssige Inszenierung mit ihrem beeindruckenden 1990er Jahre Flair. Ecken und Kanten scheinen dann nur dazu da, die letztlich harmonische Heldengeschichte durch ein paar Hindernisse in Gang zu halten. Natürlich sind die verbürgten Fakten bereits in sich märchenhaft. Aber gerade deshalb hätten sich Regie und Produktion ein paar rauere Töne erlauben können. Nur angedeutet wird etwa, dass Richards zweite Ehe schon bald nach den ersten Triumphen seiner Töchter in die Brüche gehen wird.
„King Richard“ schildert den unglaublichen Aufstieg einer schwarzen Familie in die weiße Welt des Damentennis. Daraus wird aber kein typischer Sportfilm, sondern ein runder Mix aus Charakterstudie und Kampf gegen Alltagsrassismus. Trotz einer stellenweise zu märchenhaften Inszenierung überzeugt der Film mit herausragenden Darstellerleistungen.