Der Paragraf 175 des deutschen Strafgesetzbuches war lange ein Symbol für den Schatten, den die Nazi-Herrschaft über die junge Bundesrepublik warf. Denn Hitlers Leute hatten das Verbot der Männerliebe verschärf und die Strafen drastisch erhöht. Auch in der Sowjetunion gab es bis 1993 eine entsprechende Strafverfolgung von Homosexuellen, den Paragrafen 121. Daran erinnert der estnische Regisseur Peeter Rebane und nimmt indirekt auch zur Homophobie im heutigen Russland Stellung. Darüber hinaus entwickelt sich seine Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau auch zu einem wunderschönen, zeitlosen Liebesdrama von universeller Dimension.
Größer könnte der Gegensatz kaum sein: Hier die Gefahr eines weltvernichtenden Kriegs, dort der zärtliche Blick auf eine Blume. Hier militärischer Drill an der Grenze zum Sadismus, dort ein Fotograf, der das Knistern zwischen zwei Verliebten einfängt. Alles verdichtet auf engstem Raum mit ein paar Schnitten. Gezeigt wird der Alltag eines russischen Luftwaffenstützpunktes im sowjetisch besetzten Estland. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges überwachen Bomber der Nato den Luftraum zum Ostblock, beladen mit Atombomben. Nicht minder bewaffnet sind die russischen Geschwader mit ihren draufgängerischen Piloten.
In ständiger Alarmstimmung proben die russischen Kampfbomber den Gegenschlag, falls der Feind in ihr Gebiet vordringen sollte. Gerade hier, inmitten toxischer Männlichkeit, leuchten zärtliche Momente umso heller. Regisseur Peeter Rebane und sein Kameramann Mait Maekivi spüren ihnen mit sehenswerter Farbdramaturgie und einem Händchen für dezente Symbolik nach. Sie laden die Leinwand mit einer erotischen Spannung auf, die das Debüt von Peeter Rebane auf Augenhöhe mit „Brokeback Mountain“ (2005) oder „Call me by your Name“ (2017) stellen.
Das Liebesdreieck, das sich hier bildet, ist schnell beschrieben. Gefreiter Sergey (Tom Prior) hegt für seine Jugendfreundin Luisa (Diana Pozharskaya), die als Sekretärin im Büro des Oberst arbeitet, mehr als nur freundschaftliche Gefühle. Alle gehen davon aus, dass die beiden ein Paar werden, auch wenn Sergey den ersten Schritt noch nicht gewagt hat. Aber dann wird der gut aussehende Leutnant Roman (Oleg Zagordnii) an den Stützpunkt versetzt. Sowohl Sergey als auch Luisa werfen begehrliche Blicke auf den charismatischen Sonnyboy, der vom Typ her eher unter die Amerikaner passen würde. Nach einem ersten Abtasten stürzt sich Roman mit Sergey in eine leidenschaftliche, aber verbotene Affäre. Unter dem Druck des Geheimdienstes KGB, der Wind von der gleichgeschlechtlichen Beziehung bekommen hat, entscheidet sich Roman für seine Karriere – und für eine konventionelle Ehe mit Luisa. Schließlich standen damals auf Sex unter Männern fünf Jahre Arbeitslager. Gerade beim Militär durfte man sich nicht erwischen lassen.
„Tränen und Lächeln werden zusammen gesät“, heißt es in dem Gedicht, das der Vorspann zitiert. Das Motto zieht sich wie ein unaufdringliches Leitmotiv durch eine ganze Reihe von Szenen, selbst durch scheinbar belanglose. Etwa wenn Roman den Gefreiten Sergey zu einer Spitztour einlädt und die Landschaft im Vordergrund rot leuchtet von einem Meer aus Mohnblumen, während dahinter Plattenbauten die Stimmung drücken und Fabrikschlote qualmen. Überhaupt ist Rot die Dominante im ausgeprägten Spiel der Primärfarben. Es steht für beides zugleich, Leidenschaft und Schmerz. Bei einer Silvesterfeier zum Beispiel sitzen beide Emotionen am Tisch, Luisa im knallroten Freudenkleid, Sergey im ebenso leuchtenden Hemd, aber mit gebrochenem Herzen.
Natürlich hat der bekennende Queer-Aktivist Peeter Rebane gemeinsam mit Hauptdarsteller Tom Prior als Ko-Autor das autobiografische Buch von Sergey Fetisov auch deshalb verfilmt, um gegen die aktuell wachsende Schwulenfeindlichkeit in Russland zu protestieren und dem Thema durch eine wahre historische Geschichte Nachdruck zu verleihen. Aber über die politische Dimension hinaus ist der Film eine Liebesgeschichte mit universeller Dimension. Er paart große Gefühle mit einfühlsamen Details, tragische Fallhöhe mit zarter Verspieltheit. Und feiert ganz nebenbei die überlebenswichtige Kraft des Theaters und der Kunst im Allgemeinen. Sergeys großes Vorbild ist ein Bomberpilot, der seinen Dienst quittiert und Schauspieler wird. Der Film folgt ihm darin. „Firebird“ huldigt nicht den bombenschweren Feuervögeln am Himmel, sondern dem gleichnamigen Ballett mit der Musik von Igor Strawinsky.
Der estnische Regisseur Peeter Rebane lässt mit seiner Dreiecksgeschichte zwischen zwei Männern und einer Frau die Leinwand knistern. „Firebird“ erzeugt mit starken Bildern große Gefühle. Seine Tragik ist einerseits gebunden an die historische Lage in den 1970ern und 1980ern, als Homosexualität in der damaligen Sowjetunion verboten war. Zugleich weist sie darüber hinaus und spricht Menschen jeglichen Geschlechts und sexueller Orientierung an.