Regisseur Johannes Naber hat ein Händchen für politisch brisante Satiren. In „Zeit der Kannibalen“ (2014) legte er die Gier von drei fiktiven Unternehmensberatern bloß, immer scharf an der Grenze zur Groteske, aber so wahrhaftig, dass die Überzeichnung den keineswegs übertriebenen inneren Kern aufscheinen ließ. Sein neues Werk über einen Chaos-Club von Schlapphüten knüpft daran an und geht gleichzeitig darüber hinaus. Es legt dem Irrwitz eine reale Basis zugrunde: Wie sich der deutsche Geheimdienst BND um die Jahrtausendwende daran mitschuldig machte, dass sich die Amerikaner im zweiten Irakkrieg auf vermeintliche Informationen über Massenvernichtungswaffen berufen konnten.
Irgendwo in den Bergen bei Oberammergau, mitten im Winter. Ein Mann stapft durch den Schnee einen Hügel hinauf, vorbei an den Schildern, die militärisches US-Sperrgebiet ankündigen. „Vorsicht: Schusswaffengebrauch“ steht da. Der Mann, nur in Schlafanzug und Morgenmantel, geht weiter. Nichts passiert. Keine Soldaten, keine Warnrufe. Nur drei Bayern mit Lederhose und Tirolerhut bewachen das turmartige Gebäude mit den riesigen Überwachungsschüsseln auf dem Dach. Drinnen sitzt eine CIA-Agentin im weißen Skianzug, die gerade einen Krieg einleitet. Sie hat einen Iraker entführt, der der US-Bevölkerung per Videokamera erklären soll, wie Saddams Leute auf riesigen Lastwagen eine getarnte Giftgasfabrik durchs Land fahren.
Keine Frage, so kann es nicht gewesen sein. Aber im Vorspann heißt es: „Eine wahre Geschichte. Leider.“ Wie passt das zusammen? Bei der Recherche sind Johannes Naber und sein Drehbuch-Koautor Oliver Keidel auf einen Brief des damaligen CIA-Chefs Georg Tenet gestoßen, der tatsächlich ein solches TV-Interview haben wollte, was allerdings nicht zustande kam. Das ist das Arbeitsprinzip dieses Spielfilms auf dokumentarischer Basis: Fiktiv übertreiben und weiterspinnen, aber die Essenz der Geschichte bewahren. Bei ihr geht es nicht darum, die tausendfach bewiesene Lüge von Expräsident George W. Bush aufzudecken, der einen Vorwand suchte, um den Irak anzugreifen. Es geht um die Rolle des BND dabei. Um ein unglaubliches Gemisch aus Eitelkeit, Übereifer und Kompetenzgerangel.
Im Januar 2000 nämlich bekommt der BND in Gestalt des Verbindungsoffiziers Retzlaff (Michael Wittenborn) Wind vom asylsuchenden Iraker Rafid Alwan (Dar Salim). Der behauptet, an Saddams Geheimwaffen mitgearbeitet zu haben. BND-Abteilungsleiter Schatz (Thorsten Merten) wittert eine Riesen-Profilierungschance und setzt den BND-Biowaffenexperten Dr. Arndt Wolf (Sebastian Blomberg) auf den Iraker an, der später den Decknamen „Curveball“ erhalten wird. Wolf wiederum hat keinerlei Erfahrung mit Zeugenbefragung oder Informantenführung. Er stellt sich entsprechend dusselig an, ist aber andererseits besessen von der Idee, dass Saddam die Waffenkontrolleure der UN, zu denen Wolf gehörte, an der Nase herum geführt hat. Einen Hund, der verzweifelt einen nicht vorhandenen Knochen sucht, nennt ihn seine Ex-Geliebte Leslie (Virginia Kull).
Der Clou bei der spannenden, rätselfrei erzählten Story liegt in dem ebenso humorvollen wie bösen Blick, den „Curveball – Wir machen die Wahrheit“ auf das Treiben von BND und dem ihm übergeordneten Kanzleramt wirft. Jeder kocht sein eigenes Süppchen, keiner denkt über den eigenen Schreibtisch hinaus. Verschrobene Figuren mit groben Charakterfehlern machen sich gegenseitig das Leben schwer, treten nach unten und buckeln nach oben. So kommt es, dass gestandene Schnüffler Monate brauchen, um einem bauernschlauen Flüchtling auf die Schliche zu kommen. Und dann fängt das Versagen erst richtig an.
Vielleicht unfreiwillig hat Johannes Naber mit viel Slapstick und Verfolgungsjagden eine unterhaltsame Politfarce gedreht, die das momentane Regierungsversagen ganz gut erklärt. Sehr bewusst lässt er hingegen die Botschaft durchscheinen, dass das damalige Kanzleramt von der Lüge des Informanten „Curveball“ wusste und die Weltgeschichte hätte beeinflussen können, wenn es dieses Wissen öffentlich gemacht hätte. Ebenso deutlich ist die These, dass bereits unter Bush begann, was unter Trump seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Dass nämlich die Begriffe „Fakten“ und „Wahrheit“ bis zur Unkenntlichkeit diskreditiert wurden. „Wahrheit interessiert nicht“, sagt CIA-Agentin Leslie. Inwiefern Nabers Thesen zutreffen, lässt sich natürlich diskutieren. Einen interessanten Denkanstoß bietet sein vergnügliches Stück aus dem Tollhaus aber allemal.
„Curveball – Wir machen die Wahrheit“ verpackt eine komplexe Polit- und Agentengeschichte in eine schwarzhumorige Form. Zwar geht die Mischung aus Groteske und Realpolitik nicht in jedem Moment auf. Doch die schauspielerischen Leistungen sind über jeden Zweifel erhaben, vor allem die von Sebastian Blomberg in der Hauptrolle des Biowaffenexperten, der seiner Figur neben humoristischen auch tragische Züge abtrotzt.