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World Taxi

Geschrieben von Peter Gutting am 5. Juni 2020

Es gibt einige gute Taxi-Filme: Jafar Panahis „Taxi Teheran“ (2015) zum Beispiel, aus der Not des Berufsverbots geboren, heimlich mit wenig Geld gedreht, und doch ein humorvolles Sittenbild der iranischen Hauptstadt. Unübertroffen ist aber „Night on Earth“ (1991) von Jim Jarmusch, der mit seinen episodischen Kleinoden zu Recht Filmgeschichte geschrieben hat. An den Spielfilm über Taxis in fünf Ländern knüpft die neue Dokumentation von Philipp Majer sehr gezielt an. Nicht, um dem verehrten Vorbild Konkurrenz zu machen. Sondern um mit eigenen Mittel den Hut vor dem großen Meister zu ziehen. Auch in der nicht-fiktiven Arbeit geht es um fünf Taxifahrer aus fünf Ländern, im Unterschied zu Jarmusch aber nicht nur aus Europa und Nordamerika, sondern sogar aus vier Kontinenten.

Dakar, die quirlige Hauptstadt des Senegal. Taxipilot Mamadou chauffiert drei junge Ladys auf der Rückbank. „Warum baggerst du meine Freundin an“, fragt die eine. Antwort: „Ich suche eine Zweitfrau“. Die Angebaggerte lehnt dankend ab, nimmt’s aber mit Humor. Daraufhin entspinnt sich eine lebhafte Debatte übers Fremdgehen – und über die Unterschiede zwischen Männern und Frauen dabei. „Männer sind zu doof zum Fremdgehen“, meint einer der Frauen. Ihnen würde man sofort etwas anmerken. Frauen hingegen würden besser und glaubwürdiger lügen – oder erst gar keinen Verdacht aufkommen lassen.

Der Dialog hätte auch aus „Night on Earth“ stammen können. In der Tat kam der Saarbrücker Dokumentarfilmer vor fünf Jahren auf die Idee zu seinem aktuellen Projekt, als er im mexikanischen New Mexiko von einem schrägen Taxifahrer chauffiert wurde, der ihn sofort an Jarmuschs Film erinnerte. Also, so sagte er sich, muss man sich solche Typen nicht erst ausdenken. Man findet sie buchstäblich auf der Straße. Konkret: In Dakar, Berlin, Bangkok, Pristina (Kosovo) und El Paso (an der US-Grenze zu Mexiko). Die vier Männer und eine Frauen heißen Mamadou, Bambi, Tony, Destan und Sergio. Ihre Lebensumstände unterscheiden sich drastisch, aber allen gemeinsam ist, dass Taxifahren für sie mehr bedeutet als nur einen Lebensunterhalt. Es ist ein „Way of Life“, ein Freiheitsraum für kuriose Eigenheiten, ein Mikrokosmos mit eigenen Regeln.

Auch Bambi aus Berlin kann sich keine bessere Arbeit vorstellen. Weil sie morgens nie aus dem Bett kommt, fährt sie nur nachts, gerne zu den Palästen des Berliner Partylebens, mit allerlei schrägen Vögeln auf der Rückbank. Philipp Majer ist mit seiner Kamera dabei, als ein lesbisches Paar Bambi um ihre Handynummer bitte. Warum? Wollen sie noch einmal mit ihr fahren, weil sie so sympathisch ist? Nein, einfach so, um sich besser kennenzulernen. Bambi lehnt ab. Sie kennt diese Situation, auch mit Männern, auf die sie im Prinzip stehen würde. Im Dunkel der Nacht und im Nebel des Alkohols wuchern Sehnsüchte, die bei Tag schnell vergessen sind. „Ich habe schon tausend Männern meine Nummer gegeben, aber angerufen haben höchstens einer oder zwei“.

Philipp Majer hat viele solcher charmanten kleinen Geschichten gesammelt. Doch lustig zu sein, reicht ihm nicht. Er möchte auch politische Aussagen in seinem Film haben – Meinungen, Statements, Einschätzungen. Das gelingt zwar, aber es macht nicht den eigentlichen Reiz seines Films aus. Zu zufällig und nur angerissen sind diese Themen, zu divers die Probleme in den einzelnen Ländern, als dass sich der Zuschauer davon ein Bild machen könnte, das aus mehr als bloßen Bruchstücken besteht.

Gewiss, die politische Dimension wäre ein Mehrwert gegenüber dem Film von Jarmusch gewesen. Aber seine größte Stärke beweist „World Taxi“ dort, wo er „Night on Earth“ am nächsten kommt: In den humorvollen, manchmal leicht verrückten Momenten. Etwa wenn im Kosovo ein befreundeter Taxifahrer von Destan einem Unfallgegner tatsächlich weismacht, der umgeklappte Rückspiegel sei ein gravierender Schaden, den er unbedingt in der Werkstatt reparieren lassen müsse. Mit ernster Miene luchst er dem Fremden 100 Euro ab – und klappt hinterher freudestrahlend den Spiegel zurück in die richtige Position. Nicht immer muss es jedoch lustig zugehen. Kleine Szenen aus dem Alltag – auch jenseits des Taxis – bringen dem Zuschauer die Porträtierten menschlich nahe. Dennoch: So grandios wie in „Night on Earth“ runden sich die Miniaturen nicht zu einem Ganzen. Die Realität ist eben nicht so perfekt wie die Fiktion.

Auf den Spuren eines großen Vorbilds setzt „World Taxi“ dem gewerbsmäßigen Chauffieren ein Denkmal. Regisseur Philipp Majer hat für seinen humorvollen Dokumentarfilm starke Charaktere entdeckt, die jeder für sich eine eigene Facette des Mikrokosmos Taxi verkörpern. Die Ähnlichkeiten zur Spielhandlung von Jim Jarmuschs „Night on Earth“ sind zahlreich und gewollt. Doch an dessen Meilenstein reicht die charmante kleine Arbeit des talentierten Nachwuchsregisseurs nicht heran.

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Copyright: Jip Verleih

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Länge: 82 min

Kategorie: Documentary

Start: 11.06.2020

cinetastic.de Filmwertung: (7/10)

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Info

World Taxi

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 82 min
Kategorie: Documentary
Start: 11.06.2020

Bewertung Film: (7/10)

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