„Stopping“ heißt ein Dokumentarfilm über Meditation von Bernhard Koch aus dem Jahr 2015. Das Motto könnte auch über seiner neuen Arbeit stehen. Einfach mal das Hamsterrad anhalten, sich besinnen, innehalten. Dass das nicht nur mit Stillsitzen geht, sondern auch mit Yoga, bewusster Ernährung oder sogar Sport, zeigt der Regisseur am Beispiel von fünf Menschen, die ihr Leben umgestellt haben. Nicht einfach aus einer Mode heraus oder weil sie auf den neuesten Wellnesszug aufspringen wollten. Sondern als Resultat von schweren Krankheiten. Wie das Leben sie stoppte und wie sie neue Kraft aus ganzheitlichen Lebensphilosophien schöpften, erzählen sie dem Regisseur auf unaufdringliche, nachdenklich stimmende Weise.
Ranja hatte einen Tumor im Darm, Stephan litt unter schwerer Arthritis, Mona unter extremer Schuppenflechte und Chris unter heftigen Ischias-Schmerzen. Alle sind inzwischen beschwerdefrei, nur für die krebskranke Dominique gibt es vermutlich keine Heilung, sondern „nur“ eine neue Lebensqualität für die Zeit, die ihr noch bleibt. Fragt man die Naturheilkunde, wird man vermutlich mit Dutzenden von Fallgeschichten konfrontiert, die eine Art Wunder versprechen. Doch das ist in „Sein – gesund, bewusst lebendig“ erfreulicherweise anders. Regisseur Bernhard Koch verzichtet auf spektakuläre Ausrufezeichen, konzentriert sich geduldig auf individuelle Besonderheiten. Allein dadurch verbieten sich vorschnelle Verallgemeinerungen.
Dennoch lassen die Einzelschicksale aufhorchen. Stephan etwa, dem der Arzt wegen seiner Arthritis bereits ein Leben im Rollstuhl prophezeite, war bereits nach sieben Wochen schmerzfrei – einfach durch den Verzicht auf Fleisch und Fisch. Inzwischen leitet er eine Schule für Wildkräuter-Ernährung. Das Sammeln von Löwenzahn, Brennnessel und was die Natur sonst freizügig anbietet stellt sich nach mehreren Versuchen mit anderen fleischfreien Ernährungsformen als das heraus, was ihm die meiste Freude bereitet. Das muss nicht für jeden so stimmen. Ranja zum Beispiel begeisterte sich während der Überwindung ihrer Darmkrankheit für das sanfte Yin Yoga, Mona entdeckte die Klangschalentherapie und Dominique den Sport.
Liest man den Ankündigungstext für den Film, scheint es zunächst vermessen, so viele alternative Heil- und Präventionsmodelle unter einen Hut zu bringen: Yoga, Bewegung, Fasten, Ernährung, Entspannung und Meditation. Aber schnell wird klar, woher der ganzheitliche Ansatz kommt. Jeder der Protagonisten hat nicht nur die eine Sache in seinem Leben geändert. Stephan etwa steht nicht nur auf Wildkräuter, er bewegt sich auch gerne in der freien Natur, praktiziert Yoga und meditiert regelmäßig. Sowieso kommt es nicht allein auf die jeweilige Methode an, sondern auf die grundlegende Erkenntnis, die bei allen Beispielen am Anfang steht: So geht es nicht weiter. Ein Leben auf der Überholspur, ohne auf die Bedürfnisse von Seele und Körper zu hören, führt zum Crash. Nicht nur im übertragenen Sinne, sondern im Falle von Chris, der nach einem schweren Autounfall ein Jahr im Krankenhaus lag, auch ganz handfest.
„Wir sind für dieses moderne Leben nicht geschaffen“, sagt einer der zahlreichen Experten, die die Fallbeispiele ergänzen und auf eine allgemeinere Ebene heben. Nicht für das Tempo, die Reizüberflutung, die ständige Erreichbarkeit und die dauernde Anspannung, die die moderne Berufswelt den meisten Menschen abverlangt. So sehr, dass sie sich selbst dabei abhandenkommen, nicht mehr fragen können, was sie eigentlich wirklich möchten, was wesentlich ist und was man nur eingeredet bekommt, von Erziehung, Werbung und Vorgesetzten.
Wie es anders geht, zeigt der Film erfreulicherweise nicht nur auf der verbalen Ebene, sondern auch visuell und rhythmisch. Trotz zahlreicher Interviews und Expertenbefragungen lässt „Sein – gesund, bewusst lebendig“ genügend Raum für eigene Assoziationen des Zuschauers, regt sie an mit sanften Naturimpressionen. Zudem erzählt der Film nicht streng chronologisch, sondern verwebt verschiedene Themenkomplexe zu einem visuellen und inhaltlichen Mosaik, in dem ein Steinchen zum anderen kommt.
„Sein – gesund, bewusst, lebendig“ erzählt trotz seines esoterisch angehauchten Titels von etwas Handfestem: Wie Menschen nach dem einschneidenden Erlebnis einer schweren Krankheit ihr Leben von Grund auf geändert haben. Dadurch wendet sich der ebenso informative wie besinnliche Film keineswegs nur an Wellness-Fans, sondern an alle, die dem Hamsterrad entfliehen wollen. Zumindest für ein paar Yoga- oder Meditationsübungen.