Nebel wabert durch die Straßen, ein Schatten huscht über die Wand und das Licht fällt wie geschnittenes Brot durch halb geschlossene Jalousien. Alles sieht so gespenstisch aus wie im Film Noir. Nur der Detektiv fehlt und die „Femme Fatale“, sieht man von einer mysteriösen, mit französischem Akzent sprechenden Unbekannten ab. Genau das ist das Faszinierende am zweiten Langfilm des in Berlin lebenden Uruguayers Carlos Moretti: Wie er ein klassisches Familiendrama durch die verfremdende Atmosphäre von Elementen der „Schwarzen Serie“ auf ein neues Niveau hebt.
Eines hat Familienvater Matthias (Mark Waschke) allerdings mit einem Privatschnüffler der alten Schule gemeinsam. Er ist ähnlich kaputt, sein Leben gerät aus den Fugen, der Ausnahmezustand scheint ein ganz normaler Wahnsinn zu sein. Irgendein Projekt –Genaueres wird nicht gesagt – soll der Mittvierziger bis zum Wochenende abgeben. Seinem trendigen BMW-Oldtimer nach zu urteilen, könnte er in der Werbebranche arbeiten, aber zumindest eines ist klar: Der Mann lädt sich definitiv zu viel auf die Schultern. Am Abend muss er bei der Theaterpremiere seiner neuen Freundin (Anna Brügemann) erscheinen und mit deren Eltern essen gehen, vorher noch den Geburtstag seines siebenjährigen Sohnes Lukas (Kasimir Brause) hinter sich bringen und vor allem das lange versprochene Vater-Sohn-Wochenende absagen, um wenigstens ein paar Stunden für das Projekt herauszuschinden.
Matthias zerrüttetes Nervenkostüm spiegelt sich in mal verwaschenen, mal kontraststarken Schwarz-Weiß-Bildern. Tatsächlich ist ja die Farbe aus seinem Leben vorerst verschwunden, die Verhältnisse geraten aus den Fugen, Gegenstände verschwören sich gegen den Gehetzten: das ständig bimmelnde Handy, die Verkehrshindernisse, der prasselnde Regen. Als Vater, der den Kontakt zum getrennt bei der Mutter lebenden Sohn aufrechterhalten will, ist Matthias ein Totalversager. Er lässt Lukas an der Schule warten, hat nicht einmal ein Geschenk für ihn und das gemeinsame Wochenende wurde schon acht Mal verschoben.
Am liebsten würde Matthias seiner Ex-Frau Anna (Anne Polle Ratte) den Kindergeburtstag in der alten Wohnung allein aufbürden, aber das traut er sich dann doch nicht. Also sitzt er miesepetrig dabei, schaut meistens auf sein Handy. Dann kommt zum Unglück auch noch Pech dazu. Ein Gewitter verhagelt die Feier im Hinterhof, die Wohnung verwandelt sich in ein Schlachtfeld und am Ende bleibt ein fremder Junge zurück, der von seiner Mutter einfach nicht abgeholt wird. Matthias muss Julius (Finnlay Jan Berger) nach Hause fahren, wo sie niemanden antreffen. Eine Reise durch die Nacht, die längst verschüttete Vatergefühle wachruft.
Vor ein paar Jahren habe er mit seiner Frau einen ähnlich desaströsen Kindergeburtstag erlebt, schreibt der Regisseur im Regiekommentar für das Max Ophüls Festival, wo der Film 2019 Premiere feierte. Damals habe das Chaos das Schlimmste in den Eltern hervorgebracht, ein Feuerwerk wechselseitiger Vorwürfe. Im Film aber passiert das genaue Gegenteil. Der Crash lockt das Gute im Rabenvater hervor. Das klingt kitschig und wäre es auch geworden, wenn Carlos Morelli nicht zu ungewöhnlichen ästhetischen Mitteln gegriffen hätte. Nach und nach lässt er die Welt aus den Fugen kippen. Eine Sintflut scheint das Auto wegspülen zu wollen, ein hinkender Räuber tritt auf, der Junge verschwindet in einer dunklen Fabrikhalle.
Das ist nicht nur Spannungskino, es macht auch die innere Erschütterung verständlich, die das gehetzte Leben zum Stillstand bringt und den Blick öffnet für das, was wirklich wichtig ist. Gerade in der langen Nacht der Filmmitte erweist sich die Entscheidung für das Schwarz-Weiß-Format als goldrichtig. Expressionistisch verzerrte Licht-und Schattenspiele lassen Grenzbereiche menschlicher Erfahrung aufflackern, touchieren die Grenze zum Wahn und machen klar, dass es so nicht weitergehen kann.
„Der Geburtstag“ zeigt, wie man ein familiäres Kammerspiel mit filmischen Mitteln ins Existenzielle dehnen kann, ohne in reinen Ästhetizismus abzurutschen. Die Film Noir-Effekte machen die Wandlung eines Rabenvaters erst glaubwürdig. Und Mark Waschke leistet Überragendes, um die Zerrissenheit eines überforderten Mannes genauso präzise darzustellen wie sein verschüttetes Potenzial.