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Latte Igel und der magische Wasserstein

Geschrieben von Peter Gutting am 17. November 2019

Erstaunlich, welche Hellsicht manchmal in Kinderbüchern steckt: Schon 1958 erfand der finnisch-schwedische Autor Sebastian Lybeck eine Geschichte, die sich um austrocknende Seen, versiegende Flüsse und absterbende Bäume dreht. Vom Klimawandel konnte der Schriftsteller damals natürlich noch keinen blassen Schimmer haben. Heute freilich birgt die Geschichte um einen ebenso lustigen wie mutigen Igeljungen einen hochaktuellen Reiz. Kein Wunder, dass sich die Drehbuchautorin Andrea Deppert für den Stoff begeisterte und ihre Produzenten davon überzeugte, die Filmrechte zu erwerben. Die Regisseurinnen Regina Welker und Nina Wels machten aus dem männlichen Helden ein Igelmädchen und schufen einen warmherzigen Animationsfilm für die ganze Familie.

Toll, wenn man sich so einigeln kann. Im Nu verwandelt sich Latte (gesprochen von Luisa Wietzorek) in einen hüpfenden Ball, der in Windeseile einen Hang hinuntersaust, hier und dort anschlägt und schließlich unsanft gegen einen Stein donnert und so zum Stehen kommt. Auweia, tut das dem kugeligen Wesen nicht fürchterlich weh? Keine Spur, wenn man so ein Wirbelwind ist wie die quirlige Prinzessin Latte. Schwups das Kreuz gestreckt, und schon kann der Spaß auf zwei Beinen weitergehen. Latte erfreut sich des Lebens mit einem frechen „Jetzt erst recht“. Früh hat sie den Vater verloren, das Schicksal der Mutter bleibt unbekannt und irgendeine Restfamilie ist nicht in Sicht. Also lebt Latte allein in ihrer kleinen Höhle, frisst genüsslich vorbeilaufende Käfer und sammelt ihr eigenes Wasser in einem leeren Schneckenhaus.

Der grassierende Wassermangel auf der Waldlichtung, in der Latte mit Hasen, Wildschweinen und anderen Tieren lebt, wird für die Igeldame lange nicht zum Problem. Erst als das Eichhörnchen Tjum (Tim Schwarzmaier) beim Herumtollen mit Latte das letzte verbliebene Wasserreservoir – einen hohlen Kürbis – zerbricht, müssen sich auch die beiden Kinder dem Thema stellen. Sie tauchen beim großen Rat der Tiere auf, wo überlegt wird, was man tun könnte. Ein bisschen ist es wie heute. Geredet wird viel, getan wenig. Als der kluge Rabe vorschlägt, den vom Bärenkönig Bantur gestohlenen Wasserstein zurückzuholen, tun die anderen Tiere die Geschichte als verrücktes Märchen ab. Niemand will seine Komfortzone verlassen und hinaus in die anderen Wälder, lieber schließt man vor den Erkenntnissen schlauer Leute die Augen. Aber auch der Wald hat seine Greta: Latte kennt keine Angst, geht hinaus in die Welt und stellt sich ihren Herausforderungen, glücklicherweise begleitet von dem ängstlichen, aber mit weiser Vorsicht agierenden Tjum.

Der Film für Kinder ab fünf Jahren setzt auf Action und Verfolgungsjagden, aber auch auf Zwischentöne. Der gefährliche Luchs und die hinterlistigen Wölfe passen ins gängige Charakterschema, doch andere Tiere, denen Latte und Tjum auf ihrer Heldenreise begegnen, bieten erfreuliche Überraschungen. Etwa der Witze reißende Frosch, bei dem man nie so genau weiß, ob er seine Drohungen nun ironisch meint oder nicht. Und ganz und gar die Bären, die jedes Klischee sprengen. Nicht aus Bosheit haben sie den Wasserstein an sich gerissen, sondern weil sie das kühle, märchenhaft funkelnde Nass so lieben. Diese Bären können stark und gefährlich sein, aber am liebsten trainieren sie fürs Wasserballett – eine der schönsten Szenen des liebevoll animierten Films.

„Latte Igel und der magische Wasserstein“ ist eine ganz erstaunliche Produktion. Mit 7,5 Millionen Euro hatte der Animationsfilm ein für deutsche Verhältnisse recht hohes Budget. Im internationalen Vergleich, etwa in Relation zu einem Disney-Werk, ist das trotzdem verschwindend wenig. Die Regisseurinnen und Produzenten machen das Beste aus der Beschränkung. Sie setzen nicht auf den hyperrealistischen Look der internationalen Konkurrenz, verzichten auf superschnelles Tempo und bewahren so etwas von einer handgezeichneten Anmutung. Zwar ist der Film komplett per Computer animiert. Aber in den Figuren lebt der Charme der illustrierten Buchvorlage. Sie wirken trotz ihrer modernen Schnelligkeit einen Tick altmodisch im guten Sinne. Das dürfte vor allem die Altersgruppe zwischen fünf und acht Jahren ansprechen – und dann wieder die Eltern und Großeltern, die vielleicht selbst die Latte-Bücher vorgelesen bekamen.

Auch inhaltlich hebt sich der Latte-Film von gängigen Großproduktionen ab. Themen wie Freundschaft, Verlust des Vaters oder Stellenwert von Teamarbeit sind klar formuliert, werden aber nicht aufs Auge gedrückt. Und die emotionaleren Passagen verzichten auf übertriebene Sentimentalität. Für einen Kinderfilm lässt der gelungene Mix aus Abenteuer, Drama und Komödie den kleinen Zuschauern erstaunlich viel Freiheit.

„Latte Igel und der magische Wasserstein“ hebt sich von Animationsblockbustern erfreulich ab. In ihrer Themenvielfalt lässt die Heldenreise um zwei putzige kleine Abenteurer auch ganz aktuelle Probleme anklingen, ohne sich moralisierend darauf zu versteifen. Dem Animationsteam um die Regisseurinnen Regina Welker und Nina Fels ist ein intelligenter Wohlfühlfilm für die ganze Familie gelungen.

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Copyright: Koch Films

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Länge: 79 min

Kategorie: Animation, Adventure, Comedy

Start: 25.12.2019

cinetastic.de Filmwertung: (7/10)

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Latte Igel und der magische Wasserstein

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 79 min
Kategorie: Animation, Adventure, Comedy
Start: 25.12.2019

Bewertung Film: (7/10)

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