Die Romane des japanischen Autors Ryû Murakami sind stets eine gern gesehene Vorlage. Vor mehr als 20 Jahren adaptierte Takashi Miike „Audition“, nun versucht sich der US-Amerikaner Nicolas Pesce in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm an „Piercing“. Seine Deutschlandpremiere erlebte dieser im Rahmen des Filmfest München, ab dem 28. Juni 2019 ist er nun auf Blu-ray und DVD erhältlich.
Der Enddreißiger Reed (Christopher Abbott) ist nach außen hin ein glücklicher Familienvater. Zusammen mit seiner Frau hat er ein kleines Kind, doch in letzter Zeit verspürt er immer öfters den Drang dieses am liebsten brutal zu ermorden. Um seine Mordlust anderweitig zu stillen, plant er im Rahmen einer Geschäftsreise nach New York eine namenlose Prostituierte zu ermorden und anschließend zu zerstückeln. Von seiner Frau und seinem Kind wird sich verabschiedet, die Reise beginnt und nur wenige Stunden später plant er bereits in seinem Hotelzimmer das weitere Vorgehen.
Leider kommt für Reed alles anders als geplant, denn das Call Girl Jackie (Mia Wasikowski) sperrt sich bereits wenige Minuten nach ihrer Ankunft im Badezimmer ein, wo sie weinend mit einer Schere auf ihr eigenes Bein einsticht. Für Reed ist diese Situation alles andere als normal, denn plötzlich scheint sein – bis ins Detail – geplanter Mord nicht mehr aufzugehen. Kurzerhand fährt er Jackie in ein nahegelegenes Krankenhaus, doch auch dieser Zwischenstopp währt nur von kurzer Dauer. Kann er seinen Plan in der restlichen Nacht doch noch in die Tat umsetzen oder folgen noch mehr ungeplante Ereignisse?
Vor drei Jahren präsentierte Nicolas Pesce mit „The Eyes of My Mother“ einen unglaublich intensiven Debütfilm, der nicht nur durch seine bestechende Brutalität von sich reden machte, sondern vor allem durch seine stringente Inszenierung. Was damals vor allem durch die gewählten schwarz-weiß-Bilder für eine überaus gelungene Atmosphäre sorgte, wird nun durch das genaue Gegenteil ausgetauscht. Diesmal wählt Pesce eine bestechende Vielzahl an Farben aus, wodurch „Piercing“ vor allem optisch zu einem kleinen Highlight wird.
Was auf visueller Ebene absolut überzeugen kann, wird inhaltlich leider den Erwartungen nicht im Ansatz gerecht. Mit rund 80 Minuten Länge ist „Piercing“ sowieso schon reichlich kurz gehalten, doch auch dabei braucht man von einer wirklichen Geschichte kaum reden. Der im Mittelpunkt stehende Reed möchte jemanden ermorden, spielt dieses Ereignis sogar im Hotelzimmer durch, nur um dann doch aufgrund anderer Ereignisse zu versagen. Was folgt ist ein kleines Kammerspiel, bei dem ungemein viel angedeutet, letzten Endes aber nur wenig umgesetzt wird.
Vielmehr präsentiert uns Nicolas Pesce zwei völlig gegensätzliche Typen, die sich nicht nur in einer kaum zu definierenden Art sexuell anziehen, sondern womöglich sogar ergänzen. Doch anstatt daraus etwas zu machen, dreht sich die Geschichte beinahe etwas im Kreise, denn jedes Mal wenn es beginnt interessant zu werden, bekommt Pesce beinahe Angst, dieses Vorhaben auch stringent durchzuziehen. Inhaltlich ist „Piercing“ daher kaum mehr als eine Kurzgeschichte, die zwar glänzend besetzt und visuell schön anzusehen ist, dann aber doch das gewisse Etwas vermissen lässt.
Genau dieses Etwas findet man auch nicht im Bereich des Horrors wieder, denn obwohl uns das DVD Cover den Eindruck eines recht brutalen Films vermittelt, ist dieser doch letzten Endes überaus harmlos. Vieles spielt sich bestenfalls in der Vorstellung des Zuschauers ab, denn sieht man von erwähnter Szene im Badezimmer einmal ab, wird der Zuschauer doch kaum mit grauenhaften oder gar blutigen Ereignissen konfrontiert.
Der zweite abendfüllende Spielfilm von Nicolas Pesce kann leider nicht im Ansatz die hohen Erwartungen des Zuschauers erfüllen, denn obwohl der Roman von Ryû Murakami ausreichend Potential beinhaltet, wird dieses nicht konsequent genug umgesetzt. Man darf gespannt sein, ob er mit Grudge (2020) zu alter Stärke zurück findet.