„Nun sehen Sie Folgendes“ lautet der Titel eines preisgekrönten Kurzfilms von Erik Schmitt. In dieser Parodie auf das Filmschaffen wird mit typischen Klischees gespielt, indem eine Off-Stimme genau sagt, was man als nächstes zu sehen bekommt: den jungen Helden etwa, den Gegenspieler oder die begehrenswerte Schönheit. Was aber sieht der Zuschauer im ersten langen Werk von Erik Schmitt? Einen Kinderfilm? Eine philosophisch angehauchte Reflexion über die Zeit? Eine Hommage auf die Stadt Berlin? Im Grunde von allem etwas. Die Auswahlkommission der Berlinale-Sektion „Generation Kplus“ entschied sich in diesem Jahr für das Stichwort Kinderfilm und zeigte „Cleo“ zur Eröffnung ihres Programms. Nun kommt der Film ins Kino und man darf gespannt sein, zu welchen Tageszeiten er laufen wird.
„Nicht an die Vergangenheit denken“, das ist eine der Regeln, mit der die titelgebende junge Frau (Marleen Lohse) ihren Alltag strukturiert. Dazu hat sie guten Grund, denn die Mutter ist bei ihrer Geburt gestorben und der Vater ließ sein Leben bei einer Schatzsuche mit der jungen Tochter. Von alten Geschichten also will Cleo nichts mehr hören, aber paradoxerweise arbeitet sie als Stadtführerin in Berlin, wo sie permanent mit der Historie konfrontiert wird. Und dadurch auch mit der einst gescheiterten Suche nach dem Schatz der legendären Einbrecherkönige Franz und Erich Sass, die ihre Millionenbeute 1929 irgendwo vergraben haben sollen, inklusive einer mysteriösen Uhr, mit der man die Zeit zurückdrehen kann. Der verträumte Paul (Jeremy Mockridge) scheint eine verschlüsselte Karte von der Fundstelle zu besitzen. Sofort nimmt die erwachsene Cleo ihr Abenteuer aus der Kindheit wieder auf.
Da merkt man schon: So ganz im „Ernst des Lebens“ ist die aus der Zeit gefallene Fremdenführerin nicht angekommen. So wundert es kaum, dass sie mit Albert Einstein redet und sich von Marlene Dietrich Tipps geben lässt, die als schwarz-weiße Gestalten durch einen knallbunten Film geistern und nur für Cleo sichtbar sind. Überhaupt hetzen die Berliner viel zu gestresst durch ihre Stadt, um – wie Cleo – der Magie der Metropole nachzuspüren. Unverkennbar schielt Regisseur Erik Schmitt nach Paris und auf die „Fabelhafte Welt der Amelie“, die er mit knappem Budget und viel Fantasie zitieren möchte. Aber das ist dann doch eine Nummer zu hoch gegriffen.
Immerhin: An visueller Verzauberung lässt es der Film nicht fehlen. So romantisch, so geheimnisvoll sieht man Berlin selten, in neues Licht gerückt durch Zeitraffer, atemberaubende Kamerawinkel, extrem verfremdende Objektive, hineinmontierte Papphäuser oder auf Zwergengröße geschrumpfte Menschen. Rasant montierte Zeitsprünge verhindern Langeweile, Vergangenheit verschmilzt mit Gegenwart in verspielter Stilisierung, die die postmoderne Losung „alles geht“ in den Exzess treibt.
Die meisten der visuellen Tricks und auch die erzählerischen Grundmotive sind nicht neu. Viele seiner Einfälle hat Erik Schmitt in dem Kurzfilm „Nashorn im Galopp“ von 2013 schon einmal durchgespielt, von der Suche nach einer „Seele der Stadt“ über die Spielerei mit Hinweispfeilen bis zur Liebeserklärung per öffentlichem Video, das auf eine Hauswand oder Brücke projiziert wird.
Das wäre nicht schlimm, wenn die Einzelteile im Dienste eines anderen Ganzen einen neuen Sinn ergäben. Doch daran hapert es im ersten Langfilm des Kurzfilmspezialisten. Was im Kurzfilm hervorragend funktioniert – schräge Einfälle, geniale Überraschungsmomente, kleine visuelle Highlights -, erweckt auf die Dauer von hundert Minuten den Eindruck der Beliebigkeit. Das Hamsterrad immer neuer Verrücktheiten läuft sich tot, zumal es lediglich von der dürren Geschichte der Schatzsuche angetrieben wird. Zwar tut das der Unterhaltsamkeit dank des hohen Tempos keinen Abbruch, aber die Frage nach dem Sinn des Ganzen lässt zumindest den erwachsenen Zuschauer ratlos zurück. Insofern bietet die Einordnung als Kinderfilm noch den einfachsten Zugang zu einem modernen Märchen.
„Cleo“ ist sicher eines der ungewöhnlichsten Debüts im jungen deutschen Film. Visuell überbordend und voller Einfälle, kommt der erzählerische Kern als schlichte Schatzsuche für Kinder daher. Zwar spürt man stets die große Liebe zur „Berliner Luft“, doch unterm Strich überwiegt der Eindruck, als sei einer der talentiertesten deutschen Kurzfilmregisseure beim Sprung ins lange Format auf halber Strecke in die Spree gestürzt.