Die französische Filmkomödie hat viele Gesichter. Neben klamaukhaften Varianten á la „Willkommen bei den Sch‘tis“ oder „Monsieur Claude und seine Töchter“ kennt sie das entspannte, lebenskluge Schmunzeln über die Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins. Für jenen alltagnahen Humor steht zum Beispiel das Schauspieler-, Regie- und Drehbuchpaar Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri. Ihre Arbeiten inspirierten offenbar auch den zweiten Film von Cécilia Rouaud. Nicht von ungefähr konnte Rouaud für ihre episodenhafte Reflexion über die Wirren einer dysfunktionalen Familie den ewigen Grantler Bacri in der Rolle des unzuverlässigen Vaters gewinnen.
Paris, spät in der Nacht. Ein Metro-Bahnsteig, leer wie selten. Die heranrasende Bahn ist schon zu hören, als ein junger Mann bedenklich nahe an die Bahnsteigkante tritt. Niemand scheint ihn zu beobachten in seinem Lebensüberdruss. Nur ein Clochard klimpert hinten in der Ecke den alten Hit von Cat Stevens auf der Gitarre: „Oh, Baby, Baby, it‘s a wild World“. Ein letzter Schritt, da unterbricht der Sänger das Lied. Tut sonst nichts, hört einfach auf und schaut. Irritiert gibt der junge Mann sein Vorhaben auf. Und der Clochard spielt genau da weiter, wo er aufgehört hatte.
Suizid ist alles andere als lustig. Aber die Lakonie, mit der Regie und Kamera die kleine Episode in Szene setzen, wirft ein Licht auf den tragikomischen Humor von „Ein Familienfoto“: ein zärtlicher, nachsichtiger Blick auf die Sackgassen, in die seine Figuren geraten sind. Vier Generationen, vereint in Schrulligkeit und Unglück, sich selbst im Weg und verstrickt in den Schlamassel, den andere hinterlassen haben. Nur Oma (Claudette Walker), das eigentliche Kraftzentrum der Großfamilie, strahlt Bodenständigkeit und Normalität aus. Aber: Die Großmutter ist dement. Sie erkennt bei der Beerdigung ihres Mannes den eigenen Sohn Pierre (Jean-Pierre Bacri) nicht mehr. Der muss nun, nachdem der Großvater zu Grabe getragen ist, Verantwortung für Oma übernehmen, genau wie seine drei erwachsenen Kinder Gabrielle (Vanessa Paradis), Elsa (Camille Cottin) und Mao (Pierre Deladonchamps). Altersheim? Die Männer sind dafür. Aber Gabrielle setzt durch, dass Oma reihum bei allen Familienmitgliedern unterkommt.
Dadurch lernen wir sie näher kennen: die alleinerziehende Gabrielle, die fast wie ein Hippie lebt und ihr Geld als „lebende Statue“ auf der Straße verdient (eine dieser ganz in Gold oder Bronze gehüllten Figuren, die Passanten wegen ihrer Regelungslosigkeit zum Staunen bringen); die allseits wütende Elsa, eine Sozialarbeiterin, die selbst ihren abgebrühten Schützlingen das Fürchten lehrt; und den jungenhaften Mao, als Entwickler von Computerspielen ein Genie, im Beziehungsleben aber eine Niete. Der Film spürt ihnen nach, als seien sie Figuren von Woody Allen, heimgesucht von Neurosen, Spleens und Ticks, aber trotzdem quicklebendig und munter von einem Beziehungsabenteuer ins nächste stürzend. In ihrem eigenen Drehbuch verzichtet Regisseurin Cécilia Rouaud auf große Dramen und tränenreiche Konflikte. Sie setzt stattdessen auf verständnisvolle Nähe zu den Figuren, auf Einfühlung in allzu menschliche Unzulänglichkeiten. Daraus erwachsen die schönsten Momente einer im guten Sinne etwas dahinplätschernden Episodenstruktur.
Aber dann gibt es Augenblicke, in denen Sätze fallen wie: „Meine Mutter tut niemandem gut“. Oder „Familie liegt mir nicht“. Und es wird ein Erklärungsmodell aufgeboten, das das spezielle Unglück jedes Einzelnen auf ein übergreifendes Trauma zurückführt: Pierre und seine erste Frau Claudine (Chantal Lauby), die Mutter der Kinder, haben sich früh getrennt und die Geschwister folgenreich aufgeteilt. Die beiden Mädchen kamen zum Vater, der ständig neue Liebschaften anschleppte. Und der Sohn blieb bei der Mutter, die als Psychotherapeutin ihren Beruf so ernst nahm, dass sie nicht mehr normal mit ihrem Kind reden konnte.
Es hätte diesen großen Bogen nicht gebraucht, um die Handlung zusammenzuhalten. Allein die demente Oma, die immer wieder ausbüxt, um in ihren Heimatort Saint Julien zu fahren, sorgt für ausreichend Kitt, um den losen Momentaufnahmen Struktur zu geben. Aber es scheint, als hätte die Regisseurin ihrem Konzept alltagnaher Skizzen nicht wirklich getraut. Als hätte sie doch einen klassischen Erzählbogen in der Hinterhand haben wollen, mit Helden, die eine tiefgreifende Wandlung durchmachen, und einem zentralen Knoten, dessen Durchschlagung sämtliche Probleme löst. Das hemmt die Leichtigkeit, die den französischen Filmemachern sonst im Blut zu stecken scheint.
„Das Familienfoto“ erzählt von einer dysfunktionalen Familie mit viel Nachsicht und Einfühlungsvermögen. Zu den Stärken des Films zählen der alltagsnahe Humor, das spielfreudige Ensemble und der zärtliche Blick auf das Chaos des Lebens. Zum Nachteil gerät die erzählerische Prämisse, die sämtliche Probleme auf ein einziges kindliches Trauma zurückführt. Das ist, entgegen dem sonstigen Realismus, eine ausgedacht wirkende Drehbuchkonstruktion.