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The Guilty

Geschrieben von Peter Gutting am 5. September 2018

The Guilty

Ein Telefon an sich ist nicht besonders fotogen, weder in statischen noch bewegten Bildern. Und doch erfreut sich das Gerät erstaunlicher Beliebtheit bei Drehbuchschreibern und Regisseuren. Titel wie „Bei Anruf Mord“ oder „The Call – Leg‘ nicht auf“ künden davon. Nun legt der dänische Regisseur Gustav Möller ein Regiedebüt vor, dessen äußere Handlung ausschließlich aus Telefonaten besteht. Was banal klingt, erweist sich als fesselnder Psycho- und Polizeithriller.

The GuiltyZwischen vier Hauptdarstellern entspinnt sich die Handlung. Doch nur einen von ihnen bekommt der Zuschauer zu Gesicht. Es ist der Polizist Asger (Jakob Cedergren), der in einer Notrufzentrale im Kopenhagener Osten Dienst tut. Seine Arbeitsinstrumente sind ein modernes Headset und ein Computer, der unmittelbar anzeigt, in der Nähe welches Mobilfunkmastes sich der Anrufer befindet, sofern er ein Handy benutzt. An sich ist der Job langweilig. Er besteht nur darin, eine weitere Leitstelle zu informieren, die dann einen Kranken-, einen Streifenwagen oder beides schickt.

Aber Asger ist nicht der klassische Telefonist, der routiniert seinen Job machen würde. Irgendetwas stimmt nicht – und der Zuschauer wird nach und nach erfahren, was diesen ungeheuren inneren Druck erzeugt, den Asger hinter emotionsloser Mimik und bemüht sachlichem Tonfall nur schlecht verbergen kann. Vorerst aber müssen ein paar irritierende Gespräche genügen. Ein Mann meldet einen Überfall, aber Asger lässt sich Zeit. Eine Frau fällt vom Rad und verlangt nach einem Krankenwagen, aber Asger verweigert die Hilfe. Lieber legt er es darauf an, die Hilfesuchenden zu belehren. Dass sie sich nicht im Rotlichtviertel herumtreiben sowie Alkohol oder Drogen meiden sollten.

The GuiltyDann der entscheidende Anruf. Der, auf den der Film gewartet hat. Eine schluchzende, flehende, offenbar verwirrte Frau, die den Mann in der Notrufzentrale mit „Hallo Schätzchen“ anspricht. Asger will nach ein paar Sekunden schon wieder auflegen. Aber irgendetwas lässt ihn spüren, dass die vermeintliche Nervensäge tatsächlich in Not ist. Dass sie so tut, als würde sie mit ihrer kleinen Tochter sprechen. Und dass der Mann neben ihr im Auto ein Entführer ist, der unter keinen Umständen den wirklichen Adressaten des Anrufs herauskriegen darf. Plötzlich erwacht in Asger ein Gefühl: der Beschützerinstinkt. Er reißt den Fall an sich – regelwidrig und gegen alle Vernunft. Die Binsenweisheit, dass man durchs Telefon nur hören, aber nicht sehen kann, wird zur Falle für sämtliche Beteiligten.

All das geschieht in Echtzeit, mit einer Kamera, die stets nur einen Mann, sein Telefon und seinen Bildschirm vor sich hat. Nimmt sie einmal die Kollegen im Großraumbüro in den Blick, erscheint dies beinahe wie ein Ausflug in eine andere Welt, wie eine Befreiung aus klaustrophobischer Enge. Dass eine solche Konstellation filmisch funktionieren kann, erklärt der Regisseur im Interview mit eigenen Erfahrungen. Durch Zufall konnte er einmal einen echten Notruf mit derselben Problemlage anhören – entführte Frau im Auto, die ihrem Peiniger vorspielt, sich bei ihrer Familie abzumelden. Sofort habe er Bilder im Kopf gesehen, erzählt Gustav Möller – die Frau, den Mann, das Auto. Ein Erlebnis, das er in seinem erstaunlich reifen Erstling an den Zuschauer weiterreichen möchte.

The GuiltyDiese Erklärung unterschlägt jedoch die außerordentliche Raffinesse des Drehbuchs. Dessen Spannung basiert nicht zuletzt darauf, dem Zuschauer wichtige Informationen über Asger vorzuenthalten. So stolpert der Zuschauer an der Seite eines Polizisten in den niemals sichtbaren Kriminalfall, weiß aber noch weniger als dieser. Er muss sich nicht nur über die Lage im Auto und über die Wohnung, in der die Tochter der Frau mit ihrem Baby-Bruder allein zurückgeblieben ist, sein eigenes Bild machen. Sondern auch über die Vorgeschichte und aktuelle Lage des Polizisten, die sich lediglich in homöopathischen Dosen enthüllt, geschickt verteilt über die wendungsreiche Handlung.

Das spiegelt sich in der überragenden Leistung von Hauptdarsteller Jakob Cedergren. Er gibt in minimalistischen Regungen zugleich etwas preis und verbirgt etwas anderes. Seine Mimik ist hart, angespannt, wie ein Panzer gegen den inneren Druck. Aber sie ist keineswegs undurchdringlich. Die Maske zeigt Risse, durch die Druck entweichen kann. Allerdings nur so viel, um den gelegentlichen Wutausbruch, das Auf-den-Tisch-Knallen des Kopfhörers, nicht ausufern zu lassen. Ansonsten bleiben dem Schauspieler kaum Ausdrucksmöglichkeiten jenseits einer versteinerten Mimik. Einmal geht er in einen separaten Raum, lässt dort Jalousien herunter, sodass im Dunkel die Einsamkeit noch spürbarer wird. Danach bleiben ihm wieder nur die Nuancen von Stimmlage und Minenspiel.

„The Guilty“ ist filmisches Experiment und Spannungskino zugleich. Noch selten wurde derart deutlich, wie sehr die Kunst des Thrills im Unsichtbaren liegt: in den Bildern, die sie im Kopf des Zuschauers erzeugt. Der Däne Gustav Möller legt ein Debüt vor, das mit minimalen Mitteln stärker unter die Haut geht als so manche monumentale Großproduktion.

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Wir vergeben daher 7,5 von 10 Filmpunkten.

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The Guilty

Länge: 85 min

Kategorie: Thriller

Start: 18.10.2018

cinetastic.de Filmwertung: (7,5/10)

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Info

The Guilty

The Guilty

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 85 min
Kategorie: Thriller
Start: 18.10.2018

Bewertung Film: (7,5/10)

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