Die Geschichte des Abenteuerdramas „Leave no Trace“ mutet ebenso seltsam wie sektiererisch an: Vater und Tochter leben abgeschieden und nomadisierend in der Wildnis. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich Debra Graniks subtiles Drama aber weniger als Survival-Action oder als potentieller Hinterweltlerhorror, sondern als überraschende und kluge Gesellschaftsstudie. Gerade die großartige Newcomerin Thomasin Harcourt McKenzie macht diese Blick von außerhalb so wunderbar und sehenswert.
Der amerikanische Autor Peter Rock hat 2009 den Roman My Abandonment“ veröffentlicht. Dieser wiederum beruhte auf einer Zeitungsmeldung, wonach die Polizei in dem „Forest Park“ am Rand von Portland, Oregon, einen Vater und seine Tochter aufgegriffen haben, die offensichtlich längere Zeit in der Wildnis gelebt haben. Genauere Infos gab es nicht, aber des Autors Neugier war geweckt, weswegen er diese wahre Geschichte als Ausgangspunkt für einen Roman nahm. Nun ist „Leave no trace“ („Hinterlasse keine Spur“) die Verfilmung dieser außergewöhnlichen Geschichte.
Seit vielen Jahren leben Vater Will (Ben Foster) und die jugendliche Tom (Thomasin Harcourt McKenzie) abgeschieden in der Wildnis. Die Dauer dieses Lebens im Wald ist unbestimmt, aber es geht mit unregelmäßigen Standortwechseln schon seit Jahren gut. Eines Tages wird Tom allerdings von einem Jogger wahrgenommen. Sie versteckt sich reglos, wie Will es ihr beigebracht hat, und denkt, die Sache sei erledigt. Aber weit gefehlt. Der Jogger hat die Polizei benachrichtigt und nun durchforsten die Ordnungshüter den ausgedehnten Naturpark mit Spürhunden, bis sie Will und Tom aufstöbern.
Vater und Tochter werden der Sozialbehörde übergeben und dort versucht man etwas über das seltsame Paar herauszufinden. Obwohl es kein Schulregister für Tom gibt, ist ihr Wissenstand fortgeschrittener als in ihrem Alter üblich. Will hingegen wird einen standardisierten Test unterzogen, um zu klären in wie weit er eine Gefahr für sich und /oder andere ist. Aber bereits nach wenigen Fragen der Computerstimme, ist Will unfähig zu antworten. Die Behörde versucht die beiden gesellschaftlich zu integrieren und ein Weihnachtsbaum-Farmer der über Vater und Tochter gelesen hat, bietet ihnen Unterkunft und will Arbeit an. Während Tochter Tom die Nähe menschlicher Gesellschaft durchaus angenehm findet, tut sich der Kriegsveteran Will schwer damit, sich anzupassen.
Die amerikanische Independent-Filmerin Debra Granik dreht nicht gerade viele Filme, nach „Down to the Bone“ (2004) und „Winter’s Bone“ (2010) ist „Leave no Trace“ gerade einmal ihr dritter Spielfilm. 2014 gab es noch das dokumentarische Porträt „Stray Dog“. In „Winter’s Bone“ wusste eine noch unbekannte Jennifer Lawrence in der Hauptrolle derart zu überzeugen, dass sie sogleich für den Oscar nominiert wurde. Vielleicht ist dies eine Parallele zu „Leave no trace“. In der jugendlichen Hauptrolle der Tom ist die gerade einmal 18jährige Neuseeländerin Thomasin Harcourt McKenzie eine Offenbarung.
Die Reife, Ernsthaftigkeit und Souveränität, die die Newcomerin in die durchaus fordernde Rolle hineinlegt, entspricht durchaus der Furchtlosigkeit, mit der sich ihre Survival-taugliche Figur durch den Urwald bewegt. Ben Foster, der wie die übrige Besetzung sehr zurückhaltend und unaufgeregt agiert, ist ein kongenialer Schauspielpartner und beiden Darstellern gelingt es beinahe wortlos, das innere der Charaktere sichtbar zu machen. Das ist nicht nur ganz große Schauspielkunst,. Sondern auch eine großartige Leistung der Kamera.
Kameramann Michael McDonogh, der schon lange mit Debra Granik zusammenarbeitet, findet immer wieder intime Momente und auch perspektiven, die anmuten, als würde ein Jäger aus den Hochsitz seine Beute beobachten, die sich fast unsichtbar durch das Dickicht bewegt. Das sorgt für starke Bilder und auch für die Mobilisierung von menschlichen Urängsten, die sich bereits die Märchen mit dem Gruselbild des tiefen, dunklen Waldes zunutze machen.
„Leave No trace“ ist dabei kein Survival-Film im herkömmlichen Sinne, dass es um das Überleben in der Wildnis geht, sondern es geht um das Überleben der Seele. Das ruhige Tempo und der unaufgeregte Tonfall des Dramas sind dabei substanziell. Sicherlich erzählt das Drama, das durchaus auch als Jugendfilm funktionierne kann, weil es fast ausschließlich Toms Perspektive zeigt, auch eine Entwicklungsgeschichte, ein Coming of Age, das auch für den Vater gilt. Die grundsätzlichen Fragen an die Gesellschaft sind dabei, wieviel Freiraum und Individualismus eine Gemeinschaft überhaupt zulassen will oder kann und was mit jenen geschieht, die durchs Raster fallen.
Nicht umsonst dreht sich die Geschichte in „Leave No Trace“ auch um einen traumatisierten Veteranen, der aus unterschiedlichsten Gründen nicht mehr mit anderen zusammenleben kann oder will. Ein Problem, für das es – gerade in den USA –keine einfachen Lösungen gibt. Das ist keinesfalls gleichbedeutend mit einem gesellschaftlichen Versagen, denn Will ist durchaus in der Lage seine heranwachsende Tochter zu einer starken Persönlichkeit und einem selbstbestimmten, klugen Mädchen zu erziehen. Und genau diese Entwicklung macht das emotionale Herzstück des großartigen und bewegenden Dramas aus.
In der sehenswerten, amerikanische Independent-Produktion „Leave No Trace“ begibt sich Regisseurin Debra Granik wie in „Winter’s Bone“ erneut an den Rand der amerikanischen Gesellschaft und fördert Kluges und bewegendes zu Tage und einen aufgehenden Stern am Schauspielhimmel.