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Wildes Herz

Geschrieben von Peter Gutting am 9. Februar 2018

Wildes Herz

Viele rieben sich verwundert die Augen: Bei der Landtagswahl 2016 in Mecklenburg-Vorpommern wurde die AfD zweitstärkste Partei. Ein paar Punkmusiker allerdings ahnten früh, was sich da zusammenbraute. „Noch nicht komplett im Arsch“ hieß die Kampagne gegen Rechts, die auch Teil des Dokumentarfilms von Charly Hübner ist. Der Schauspieler widmet seine erste Regiearbeit der Band „Feine Sahne Fischfilet“ und vor allem deren Sänger Jan „Monchi“ Gorkow. Ein wuchtiges, urgewaltiges Porträt.

Wildes HerzEin Mann brüllt ins Mikrofon und schwitzt. Die Szene im Tonstudio ist harte Arbeit für Sänger Monchi. Ganz allein steht der da, müht sich, den Text von „Es bleibt beim Alten“ druckvoll rüberzubringen. Den Sound seiner Band hat er im Kopfhörer, aber die Freunde sind nicht da. Der Zuschauer hört die Instrumente ganz von ferne, ein tonloses Scheppern, das aus den Kopfhörern nach draußen dringt. Dann der Aha-Effekt: Der Film schneidet zur Live-Version des Songs. Und macht klar, was die Fans von „Feine Sahne Fischfilet“ längt wissen. Hier geht es nicht darum, es dem Tontechniker recht zu machen. Hier geht es darum, Wut und andere Gefühle herauszuschreien, möglichst roh und möglichst in einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten.

Charly Hübner und sein Ko-Regisseur Sebastian Schultz haben aus Interviews, Konzertmitschnitten und Familienvideos einen Film gebaut, der dem Habitus von Monchi und der Band sehr nahe kommt. Nichts ist gekünstelt, alles ist solide, klar verständlich und auf Wirkung angelegt. Sowenig wie die sechs Musiker den Punk neu erfunden haben, sowenig legen es Hübner und Schultz auf Experimente an. Nach dem Auftakt aus dem Album „Bleiben oder Gehen“ (2015) springt der Film zurück in die Kindheit und Jugend von Monchi. Von da an hält er sich weitgehend an eine brave, wohlgeordnete Chronologie.

Wildes HerzAlles andere als brav war Monchis Jugend als Ultra-Fan von Hansa Rostock, für die sich der Film viel Zeit nimmt. „Krawall in seiner reinsten Form“ nennt der beleibte junge Mann die Zeit als Hooligan. Seine Rettung war, auch wenn er das selbst so nicht formulieren würde, dass er seine Aggressionen bei der Schulband „Feine Sahne Fischfilet“ rauslassen konnte. Deren erste Texte nennt er heute „sexistisch“, die frühen Konzerte kamen auch bei „Faschos“ gut an. Daher, so erzählt es Monchi in seiner schnörkellosen Direktheit, habe man sich eben politisch positionieren müssen, und zwar konsequent antifaschistisch.

Man muss nicht lange rätseln, warum Hübner so viele der 90 Minuten Filmzeit auf etwas verwendet, was man als „Jungendsünde“ abtun könnte. Wer in die Gesichter der Eltern schaut, die sämtliche Provokationen ihres Sohnes durchgestanden haben, weiß, welchen Rückhalt Monchi in seiner Familie hat. Und man versteht auch, was der Mann mit der Anmutung eines pummeligen Riesenbabys von der Hooligan-Zeit in sein Engagement gegen Rechts mitgenommen hat. Zum Beispiel das klare Feindbild, die Überzeugung „Taten sagen mehr als Worte“ oder den enormen Wert des Gemeinschaftsgefühls.

Wildes HerzNatürlich zeichnet Hübner kein abgeklärtes, irgendwie ausgewogenes Porträt. Die Interviews mit Monchis Ex-Freundin und seinem Wohnungsgenossen beleuchten zwar problematische Seiten des Frontmanns. Aber dienen wohl nur dazu, ein wenig Sand in etwas zu streuen, was man ansonsten als reine PR-Maschine missverstehen könnte. Der aus Mecklenburg stammende Hübner und der bekennende Ossi – „ich bin in zehn Minuten am Meer, warum soll ich hier weg“ – mögen sich. Das merkt man auch dann, wenn man nicht weiß, dass Hübner im Musikvideo zu „Warten auf das Meer“ auftritt.

„Wildes Herz“ ist nicht in erster Linie ein Musikfilm, sondern die Verbeugung vor einem Mann, der entgegen einem Songtitel nicht „Komplett im Arsch“ ist. Vor einem, der angesichts der Alternative „Bleiben oder Gehen“ (Albumtitel 2015) fürs Standhalten plädiert. Und vor einem, der ein Massenpublikum dank klarer Sprache zum Handeln anstacheln kann – was von ferne an den Agitprop von „Ton Steine Scherben“ in den 1970ern erinnert. Das sieht man am besten in den eher knappen Konzertmitschnitten, die auf zwei Höhepunkte hin gesteigert werden. Der erste ist ein Konzert in der Nazi-Hochburg Anklam während der Kampagne zum Landtagswahlkampf. Dort geben sich auch Rapper Marteria und Campino von den „Toten Hosen“ die Ehre. Und dann der Tourabschluss in Monchis Heimat Jarmen, einer 3000-Seelen-Gemeinde. Hier schlägt – trotz der inzwischen deutschlandweiten Beliebtheit der Band – das wilde Herz immer noch am lautesten.

„Wildes Herz“ ist ein Heimatfilm der antifaschistischen Art. Das Porträt des Punksängers Jan „Monchi“ Gorkow zielt über das Genre der Musikdokumentation und über die Zielgruppe der Punkfans hinaus. Schauspieler Charly Hübner verbeugt sich in seiner ersten Regiearbeit vor einem Menschen, den er spürbar elektrisierend findet. Und überträgt diese Faszination auf den Zuschauer.

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Copyright: Neue Visionen

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Wildes Herz

Länge: 90 min

Kategorie: Documentary, Biography, Music

Start: 12.04.2018

cinetastic.de Filmwertung: (7/10)

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Wildes Herz

Wildes Herz

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 90 min
Kategorie: Documentary, Biography, Music
Start: 12.04.2018

Bewertung Film: (7/10)

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