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Es war einmal Indianerland

Geschrieben von Peter Gutting am 31. August 2017

Es war einmal Indianerland

Ein Roman „wie ein Unwetter“ – so hat „Spiegel“-Rezensent Sebastian Stier das Jugendbuch „Es war einmal Indianerland“ von Nils Mohl beschrieben. Für seine ungewöhnliche Erzählweise und innovative Sprache wurde der Roman 2012 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Wie könnte nun eine Verfilmung aussehen, wenn schon die Vorlage zu filmischen Mitteln wie dem Vor- und Zurückspulen greift? Ebenfalls wie Blitz und Donner? Oder doch irgendwie gemächlicher und konventioneller? Regisseur Ilker Catak bleibt in seinem Spielfilmdebüt keineswegs hinter der Experimentierfreude der Vorlage zurück. Und er hat den Autor Nils Mohl als Drehbuchschreiber mit an Bord.

Es war einmal IndianerlandEine Party im Freibad. Nachts, verboten, die Polizei taucht auf. So beginnt es, mit voller Dröhnung, schnellen Schnitten, emotionalem Vollgas. Das ist nichts Ungewöhnliches für einen Jugendfilm, der nicht von außen auf eine vergangene Zeit schaut, sondern kopfüber hineinspringt in ein Meer aufgewühlter Gemütszustände. Ungewöhnlich aber ist, wenn das Schnittgewitter nicht vorüberzieht. Wenn die Handlung hin- und herspringt, wenn nicht einmal dem Off-Erzähler zu trauen ist und der Zuschauer sich so wenig in Raum und Zeit zurechtfindet wie die 17-Jährige Hauptfigur namens Mauser (Leonard Schleicher). Erst nach und nach, so die Absicht von Buch und Film, sollen Handlungsfolge und Schauplätze Kontur gewinnen.

Es war einmal IndianerlandImmerhin scheint so viel nach dem ersten Filmdrittel klar zu sein: Es ist Sommer und Mauser nutzt die Ferien, um sich auf einen wichtigen Boxkampf vorzubereiten. Allerdings stehen dem regelmäßigen Training einige Hindernisse entgegen. Das Schlimmste davon ist, dass Mausers Vater Zöllner (Clemens Schick) seine zweite Frau, Mausers Stiefmutter, getötet hat. Zudem hat sich der Junge aus der sozial heruntergekommenen Vorstadt gerade in Jackie (Emilia Schüle) verliebt, eine leicht exzentrische Tochter aus gutem Hause. Und er erhält mysteriöse Postkarten von der eher kumpelhaften Edda (Johanna Polley). Zu allem Überfluss sieht Mauser regelmäßig einen Indianer, der ihm Zeichen gibt, aber für alle anderen unsichtbar ist.

Es war einmal IndianerlandEs kommt also vieles zusammen in einem Film, den man schwer in ein Genre einordnen kann. Gewiss sind da die klassischen Coming-of-Age Themen von der ersten Liebe und dem Sich-Ausprobieren auf der Suche nach dem eigenen Lebensentwurf. Aber da sind auch das Sozialdrama, die Fantasy-Ebene, ein bisschen Roadmovie und ein Schuss Experimentalfilm. Regisseur Ilker und Autor Mohl scheinen eine Menge Spaß gehabt zu haben beim Ausprobieren so vieler Stilmittel wie möglich. Plötzlich blenden sie sogar Zwischentitel wie im Stummfilm ein. „Derweil“ steht dann da geschrieben, obwohl ein moderner Zuschauer sehr gut ohne den expliziten Hinweis auf eine Parallelmontage ausgekommen wäre. Ein andermal wird der eher futuristische Look durch eine altmodische Rundblende gebrochen, als ginge es darum, nun auch wirklich jedes filmische Mittel zumindest einmal vorgezeigt zu haben.

Inhaltlich erweisen sich die formalen Spielereien aber eher als kontraproduktiv. Die Charaktere und ihre Beweggründe bleiben blass. Bei wichtigen Gesprächen zwischen Vater und Sohn wird der Zuschauer im Unklaren gelassen, ob sich der Vater tatsächlich so geäußert hat, oder ob es sich der Sohn nur erträumte. Tatsächlich wird in „Es war einmal Indianerland“ harter und existenzieller Stoff verhandelt. Durch den surrealen Look erscheint aber vieles als Spiel der Fantasie, als mögliches Trugbild. Dabei wird nicht geklärt, ob Mauser vor unerträglichen Erlebnissen ins Surreale flieht. Oder ob er die Welt pubertätsbedingt sowieso nur in einer Art Delirium wahrnimmt. Da die persönliche Entwicklungsreise des Helden nicht in den Bildern zu sehen ist, muss sie im Off-Kommentar nachgeliefert werden. Da hört man dann auch Lebensweisheiten wie die, loszulassen und die Kontrolle aufzugeben. Dass sich dies nicht allein aus den Bildern erschließt, spricht gegen den experimentellen und formalistischen Aufwand, mit dem der Film seiner Vorlage nachzueifern sucht.

Trotz überzeugender Schauspieler und einigen lustigen Einfällen scheitert die Verfilmung des preisgekrönten Jugendbuches von Nils Mohl an übertriebenem Ehrgeiz. Statt die eigene Botschaft ernst zu nehmen und sich mal lockerzumachen, überspannen Regisseur und Autor den formalistischen Bogen. Das geht zu Lasten der Charaktere und ihrer Geschichte.

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Wir vergeben daher 5,5 von 10 Filmpunkten.

Copyright: Camino Filmverleih

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Es war einmal Indianerland

Länge: 97 min

Kategorie: Drama

Start: 19.10.2017

cinetastic.de Filmwertung: (5,5/10)

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Info

Es war einmal Indianerland

Es war einmal Indianerland

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 97 min
Kategorie: Drama
Start: 19.10.2017

Bewertung Film: (5,5/10)

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