Deutsche Regisseure der mittleren Generation entdecken den Kinder- und Jugendfilm. Fatih Akin sprach mit „Tschick“ vor allem die Generation 14 plus an. Andreas Dresen zieht nun mit einem lupenreinen Kinder- und Familienabenteuer nach. Bei beiden Arbeiten spürt man die Lust, mal etwas ganz anderes zu machen. Das ist jeweils rundum gelungen, wenn auch mit ganz unterschiedlichen Stilmitteln.
Mit „Timm Thaler oder das verkaufte Lachen“ kehren Kindheitserinnerungen zurück. Viele derer, die heute um die 60 sind, haben James Krüss‘ gleichnamiges Buch aus dem Jahr 1962 gelesen. 17 Jahre später war die 13-teilige Fernsehserie mit dem damaligen Jungstar Tommi Ohrner ein Hit. Außerdem gab es 2002 eine Zeichentrickserie des Stoffes.
Die Attraktivität und Zeitlosigkeit von Krüss‘ Vorlage hängt mit dem Charme ihrer Grundidee zusammen, der Hommage an die Lebensfreude. Timm Thaler (in der aktuellen Verfilmung gespielt von Arved Friese) ist ein Junge, dem man nicht böse sein kann, selbst wenn er des Öfteren Unsinn anstellt. Sein Lachen ist mehr als ein Markenzeichen. Es steckt jeden an, bereinigt jede brenzlige Situation. Dabei hat Timm eigentlich gar nichts zu lachen. Seine Mutter ist gestorben, seinen Vater (Bjarne Mädel) bekommt er selten zu sehen. Und zu allem Überfluss sitzen eines Tages die böse Stiefmutter und der mobbende Halbbruder am Küchentisch der eh‘ schon kleinen Wohnung.
Objektiv gesehen bestehen Timms einzige Freuden in den sonntäglichen Ausflügen mit dem Vater zum Pferderennen. Dort treibt sich auch der dämonische Baron Lefuet (Justus von Dohnányi) herum. Dessen Name verbreitet mit gezielter Absicht ein böses Omen, wenn man ihn rückwärts liest. Lefuet macht dem verarmten Jungen ein unwiderstehliches Angebot. Wenn Timm ihm sein Lachen verkauft, sorgt der Baron dafür, dass der Junge künftig jede Pferdewette gewinnt – und auch sonst jede Wette, gleich welcher Art. Damit werden Timm und vor allem seine Stiefmutter über Nacht reich. Aber Timm merkt schnell, dass das Luxusleben alles andere als lustig ist.
In der Geschichte steckt alles, was Kinder lieben: Abenteuer, Märchen, Witz und ein bisschen was zum Gruseln. Auch für den 1963 geborenen Andreas Dresen zählt der Klassiker zur Lieblingslektüre aus Kindertagen. Das merkt man seiner Interpretation in jeder Filmsekunde an. Sie belässt die Handlung wie bei Krüss in den 1920er Jahren, aber macht daraus keinen distanziert wirkenden Kostümfilm. Ohne vordergründige Aktualisierungsmätzchen vertrauen Dresen und sein Drehbuchautor Alexander Adolph auf die Kraft der Vorlage, selbst bei den eigenen Einfällen. So gerät etwa das in den 1920er Jahren noch nicht absehbare Handy zu einem ziegelsteingroßen Ungetüm aus den Anfangstagen des Mobilfunks. Ein visueller Witz, der sich nahtlos in das ingesamt nostalgische, aber nicht altmodische Ausstattungskonzept einfügt.
„Timm Thaler und das verkaufte Lachen“ ist großes Kino, mit üppigen, für sich selbst sprechenden Schauplätzen, mit kuriosen Kostümen, ein paar Animationstricks und einem All-Star-Ensemble, in dem selbst Tommi Ohrner einen kurzen Auftritt hat. Wer bei Dresen an den eher kargen, dokumentarisch anmutender Stil seiner meisten Filme denkt (mit Ausnahme seiner letzten Arbeit „Als wir träumten“), wird hier überrascht. Die Arbeit an seinem ersten Kinderfilm scheint für den 53-Jährigen so etwas wie ein Abenteuerspielplatz gewesen zu sein. Oder anders formuliert: Dresen hat wohl einen Film gemacht, wie er ihn selbst als Kind gern gesehen hätte: staunend, hingerissen, mitfiebernd.
Dabei unterschlägt die Verfilmung keineswegs den konsumkritischen und moralischen Impuls der Vorlage. Für die Gier des Barons, die Tyrannei seiner Herrschaft finden Dresen und sein Kameramann Michael Hammon suggestive, erinnerungsstarke Bilder. Aber glücklicherweise rücken sie die moralische Botschaft nicht in den Vordergrund. Sie lassen sie eher visuell mitschwingen, als sie den Figuren oder gar dem Off-Erzähler in den Mund zu legen.
In seinem ersten Kinderfilm zieht Andreas Dresen alle Register großen Kinos. Indem er die Geschichte um das verkaufte Lachen nicht krampfhaft modernisiert, findet er zeitlose Bilder für die erzählerische Kraft des Kinderbuchklassikers. Die kongeniale Inszenierung wird wohl nicht nur dem Zielpublikum, sondern auch Erwachsenen lange im Gedächtnis bleiben.