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Die Taschendiebin

Geschrieben von Peter Gutting am 29. November 2016

Die Taschendiebin

Auch für erfahrene Regisseure gibt es noch „erste Male“. Der Koreaner Park Chan-wook drehte 2013 mit „Stoker“ seinen ersten englischen Film. Drei Jahre später folgt nun sein erster Kostümfilm. Während der Ausflug in Hollywood-Gefilde durchaus überzeugen konnte, tut der historische Boden der stets opulenten Bildsprache Chan-wooks nicht immer gut.

Die TaschendiebinKorea in den 1930er Jahren. Eine Bibliothek der erlesenen Art: holzgetäfelte Regalwände, dunkler Boden. Nur am Ende des tunnelartigen Durchgangs ein wenig Licht. Die Kamera setzt zum Flug an, schwebt rasch vorbei an den alten Folianten, die beiden Personen am Fenster fest im Blick. Wie ein Raubvogel, der seine Beute längst erspäht hat. Gefahr liegt in der Luft, Schrecken, auch Gier. Im Palast der Bücher geht es um die dunkle Seite der menschlichen Natur, um erotische Schriften im Stile eines Marquis de Sade. Hier, in absoluter Abgeschiedenheit, lebt die junge Lady Hideko (Kim Min-hee) mit ihrem Onkel Kouzuki (Cho Jin-woong). Die Waise, deren Mutter bei der Geburt starb, ist reich. Das prächtige, weitläufige Anwesen und die wertvollen Bücher gehören ihr. Doch der schmierige Onkel hält sie wie eine Sklavin. Einmal im Monat muss sie lüsternen, vornehm herausgeputzten alten Herren aus den schlüpfrigen Romanen vorlesen. Eine Attraktion, die dazu dienen soll, die gefälschten antiquarischen Exemplare möglichst teuer zu verkaufen.

In einem kleinen Dorf lebt ebenfalls eine junge Waise, die zu zwielichtigen Geschäften gezwungen wird. Sookee (Kim Tae-ri), die Taschendiebin, ist vom Kleinganoven Graf Fujiwara (Ha Jung-woo) auserkoren, bei Hideko als Dienstmädchen anzuheuern, um die reiche Lady auszunehmen. Der Plan, Fujiwara will Hideko verführen, heiraten, ihr Vermögen zu Geld machen und sie dann ins Irrenhaus einweisen lassen. Sookee soll ihn als engste Vertraute der ahnungslosen, unschuldig wirkenden Herrin dabei unterstützen. Aber etwas kommt dazwischen. Das Dienstmädchen ist von der schönen Hideko so überwältigt, dass sie sich auf den ersten Blick in sie verliebt. Und auch die unruhig schlafende Herrin scheint alles zu tun, um die Untergebene in ihr Bett zu locken.

Die TaschendiebinDas wäre an sich schon eine Intrige, die einen Erotik-Thriller tragen könnte. Doch Hitchcock-Fan Chan-wook belässt es nicht dabei. Er spielt mit dem Zuschauer Katz und Maus, scheint sich diebisch an immer neuen Wendungen zu freuen und kommt einem vor wie der Meister des Suspense, der durch die Tür des Kinosaals linst, um die Reaktionen des Publikums zu studieren. Und noch etwas hat er mit seinem Vorbild gemein: den Ehrgeiz, die Adrenalinausschüttungen fast ausschließlich mit visuellen Mitteln zu erzeugen. Jede Kamerafahrt steht im Dienste der Suggestion, jedes Detail der üppigen Ausstattung macht die Räume erschlagender, das ganze riesige Herrenhaus wird zum Mitspieler, der eine schaurige Tonlage anschlägt.

Doch gerade einem visuellen Perfektionisten wie Park Chan-wook tut das historische Setting nicht durchweg gut. Die ausgefallenen Kostüme, das rokokohafte Mobiliar laden den eh‘ schon eleganten Stil von Chan-wooks Stammkameramann Chung Chung-hoon mit einem Pomp auf, der die überbordende Optik zuweilen zur Hochglanzästhetik verkommen lässt. Darunter leidet die erzählerische Substanz, die sich streckenweise ebenfalls im Raffinement der falschen Fährten zu erschöpfen scheint. Worum es dem Thrillerspezialisten bei seinen gewohnt harten Gewalteinlagen und den expliziten Sexszenen eigentlich geht, droht hinter der glitzernden Fassade zu verblassen. Sicherlich um Rache, sicherlich um eine schwelgende lesbische Liebe und irgendwie auch um die Befreiung der beiden Frauen aus versklavten Verhältnissen. Aber richtig stringent verfolgt „Die Taschendiebin“ keinen dieser Themenstränge.

Die TaschendiebinDas hat man bei Park Chan-wook schon zielgerichteter gesehen, weniger selbstverliebt in die eigene visuelle und erzählerische Virtuosität. Der zweieinhalbstündigen Verfilmung des Romans „Solange du liebst“ von Sarah Waters wäre es wohl besser bekommen, hätte sie sich ganz auf die lesbische Liebesgeschichte konzentriert, etwa im Stil von „Blau ist eine warme Farbe“, dem skandalträchtigen Cannes-Gewinner von 2013. Was bleibt, ist aber dennoch eine außergewöhnlich ausgefeilte Ästhetik, eine Bilderwelt zum Staunen und die unverkennbare Handschrift des koreanischen Meisterregisseurs.

„Die Taschendiebin“ ist ein Leckerbissen für reine Stilisten und Freunde visueller Eleganz, wie sie etwa der Engländer Peter Greenaway in seinem Frühwerk zelebrierte. Wer sich ganz der Bilderflut überlassen möchte, wird auch vom ersten Historienfilm Park Chan-wooks nicht enttäuscht. Fans des Koreaners sollten sich jedoch darauf einstellen, nicht seinen stärksten Film zu Gesicht zu bekommen.

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Copyright: Neue Visionen

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Die Taschendiebin

Länge: 144 min

Kategorie: Drama, Romance, Thriller

Start: 05.01.2017

cinetastic.de Filmwertung: (6/10)

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Die Taschendiebin

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 144 min
Kategorie: Drama, Romance, Thriller
Start: 05.01.2017

Bewertung Film: (6/10)

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