Herausragende Filme geraten niemals in Vergessenheit, anders kann man es gar nicht beschreiben, dass in den letzten Jahren immer wieder Filme für kurze Zeit in ausgewählten Kinos erscheinen, die seinerzeit die Filmlandschaft geprägt haben. Mit dem Anime „Belladonna of Sadness“ wird nun ein ganz besonderes Kleinod noch einmal in den Kinos präsent, das nicht nur lange verschollen war, sondern nun auch erstmalig bei uns auf der großen Leinwand zu sehen ist.
Am Vorabend der französischen Revolution werden das schöne Bauernmädchen Jeanne und ihr Mann vor dem Fürsten vorstellig, um die Einwilligung für ihre Heirat zu erhalten. Der Fürst verlangt eine Steuer von nicht weniger als zehn Kühen, welche die beiden natürlich nicht aufbringen können. Kurzerhand wird Jeanne vom Fürsten und seinem gesamten Hofstaat vergewaltigt. Mitten in dieser Massenvergewaltigung erscheint ihr der Teufel in Phallusgestalt und verwandelt ihre Angst in sexuelle Hingabe. Der Pakt mit dem Teufel ist geschlossen, woraufhin Jeanne schon bald im Dorfe immer weiter aufsteigt. Doch je höher sie die Leiter erklimmt, desto eifersüchtiger wird der Fürst und dessen Frau, woraufhin der Teufel erneut ins Spiel kommen soll.
Auf der Berlinale im Jahre 1973 nahm „Belladonna of Sadness“ am Wettbewerb teil und hatte tatsächlich kleine Außenseiterchancen auf den Goldenen Bären, was selbst heute noch unvorstellbar ist. Nicht etwa, weil der Film von Altmeister Eiichi Yamamoto (Astro Boy, Kimba, der weiße Löwe) und dessen Animestudio Mushi Productions schlecht wäre, sondern weil es ganz besondere Filmkunst ist, für die nicht jeder geschaffen ist.
Basierend auf dem Sachbuch „La Sorcière“ (Satanismus und Hexerei) des französischen Historikers Jules Michelet aus dem Jahre 1862 erschuf Regisseur und Drehbuchautor Eiichi Yamamoto schließlich die ungewöhnliche Geschichte rund um das Bauernmädchen Jeanne, was als Anspielung auf das Leben der Widerstandskämpferin Jeanne d’Arc zu verstehen war. Wie eingangs erwähnt, ist „Belladonna of Sadness“ kein ganz einfacher Filmgenuss, denn bereits die erste Vergewaltigungsszene verlangt dem Zuschauer beinahe alles ab. In gezeichneten Standbildern sehen wir Jeanne und den Hofstaat, bestehend aus hunderten Menschen. Die Menge gröhlt und mit jedem Täter spritzt mehr Blut, sodass die aufreißende Vagina schon bald auf die Größe eines ganzen Menschen bildlich übertragen wird.
Szenen wie diese sind allerdings nicht die Seltenheit, denn mit expliziter Gewalt und einer Vielzahl an Sexszenen ist „Belladonna of Sadness“ bestenfalls einem sehr begrenzten Publikum zugänglich, was allerdings nicht die Qualität des Films mindern soll. Der Anime ist mit einer Aquarelltechnik entstanden, besitzt ungemein viele Standbilder, was in erster Linie der finanziellen Not des damaligen Studios zuzuschreiben ist. Das macht den Film selbst aber kaum schlechter, denn durch den psychedelischen Ansatz und die in den Bildern versteckten Provokation entfalten gerade diese Standbilder ihre ganze Macht.
Diese außergewöhnlichen experimentellen Animationen werden von einem sehr ungewöhnlichen Potpourri bestehend aus eindringlichen Pop-Balladen, esoterischem Jazz und elektrisierenden Gitarrensolos begleitet, was die Kraft der Bilder nur noch zusätzlich verstärkt.
Eiichi Yamamotos „Belladonna of Sadness“ kommt nach über 40 Jahren in einer restaurierten 4K-Fassung erstmals in unser Kino. So ungewöhnlich diese Bilderflut des Experimentalkinos auch ist, mit seinem Plädoyer gegen die Ausbeutung von Frauen ist dieser Film auch heute noch brandaktuell.