Für Kleinwüchsige gibt es im Kino selten dankbare Rollen. Meist dienen sie der Belustigung, dem Exotischen oder irgendwie Niedlichen. Für eine Hauptrolle aber reicht es fast nie. Der Kanadier Jordan Prentice hat nun eine bekommen: in dem wunderbar feinfühligen Kinderfilm des deutschen Regieduos Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf.
Erzählt wird die Geschichte allerdings nicht aus der Perspektive eines Kleinwüchsigen, sondern aus der des zehnjährigen Michi (Luis Vorbach). Der aufgeweckte Junge lebt in einem Kinderheim, weil seine alleinerziehende Mutter bei einem Autounfall gestorben ist. Das Zusammenleben mit den anderen Jungs ist eigentlich recht cool, zumal die Betreuer Astrid (Mira Bartuschek) und Chris (Phil Laude) als prima Ersatzeltern ein offenes Ohr für alle Sorgen und Nöte haben.
Trotzdem sehnen sich alle nach einer richtigen Familie. Das lässt sich an dem Neid seiner Kumpels ablesen, als Michi eines Tages einen alten, niemals abgeschickten Brief seiner Mutter findet. Der Adressat kann niemand anders als sein Vater sein. Wie ein Verliebter freut sich Michi auf das erste „Date“ mit Tom (Jordan Prentice). Aber als der Junge herauskriegt, dass sein Vater kleiner ist als er, will er nichts mehr von ihm wissen. Zu spät: Die auf Mobbing umschwenkenden Heimkinder machen Michi das Leben zur Hölle. Als er abhaut und die Polizei ihn aufgreift, bleibt in der Not nur die väterliche Adresse als Schlafplatz – eine schwierige, von Krisen geschüttelte Zwangsgemeinschaft.
Die Grundidee des erstaunlich reifen Langfilmdebüts ist einerseits genial und zugleich eine riesige Falle. Überall lauern die Verlockungen der politischen und pädagogischen Korrektheit. Vielleicht wünschen sich sämtliche Schulen nichts sehnlicher als ein filmisches Lehrstück darüber, wie man mit Minderheiten aller Art gefälligst umgeht. Dies könnte man dann wenigstens einmal pro Woche zeigen, denn Kinder sind nun mal ehrlicher in ihren Vorurteilen, spontanen Gedanken und, ja, auch in ihrer Abneigung.
Deshalb ist es so erfrischend, dass Evi Goldbrunner und Joachim Dollhopf den pädagogischen Impuls in sich komplett unterdrücken. Zumindest was ein vordergründiges, in Bildern oder Dialogen steckendes Moralisieren betrifft. Stattdessen thematisieren sie die Gemeinheiten gegenüber Behinderten in aller Offenheit, lassen den Jungen seine Enttäuschung über einen Vater ausleben, der vermeintlich die ersehnte Beschützerrolle ins Gegenteil verkehrt. Die Moral steckt hier nicht in der Bewertung solcher Gefühle und Vorurteile, sondern – wenn überhaupt – in der Logik ihrer Konfrontation mit der Wirklichkeit.
Schon vor acht Jahren hatte das Regieduo die Idee zu diesem Stoff. Geld bekam ihr Produzent jedoch nicht. Das zeigt, wie wichtig die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ ist, die 2012 von TV-Sendern, Filmförderung, Kinos und Verleihern auf den Weg gebracht wurde. Ihr Ziel: Drehbücher zu fördern, die nicht auf Kinderbüchern oder anderen Erfolgsgaranten beruhen, sondern originär entwickelt wurden. In diesem Rahmen erkannte man die Qualität von „Auf Augenhöhe“, die Geschichte bekam eine zweite Chance.
In realistischen Bildern gedreht, stellt sich die Inszenierung ganz in den Dienst der beiden großartigen Hauptdarsteller. Das heißt aber nicht, dass der erfahrene Kameramann Jürgen Jürges, der schon mit Fassbinder gedreht hat, nicht das ein oder andere Highlight setzen würde. Unterm Strich gelingt so ein Vater-Sohn-Drama von hoher Glaubwürdigkeit: nicht nur ein Familienfilm in dem Sinne, dass Eltern ihre Kinder begleiten und selbst etwas davon haben. Sondern ein berührendes und dabei erstaunlich unsentimentales Drama, an dem auch ein rein erwachsenes Publikum seine Freude hätte.
„Auf Augenhöhe“ ist ein Film für Sechs- bis Vierzehnjährige, der sein Publikum bewundernswert ernst nimmt. Nichts von der souverän erzählten Geschichte wird irgendwie zurechtgestutzt oder auf vermeintliche Kindgerechtheit getrimmt. Alles steht im Dienst von Realistik und Authentizität. Sozusagen auf Augenhöhe mit dem Zuschauer.