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Das große Heft

Geschrieben von Ronny Dombrowski am 1. Mai 2014

Das große Heft

Die Qualen des Krieges lassen sich mit all den damit verbundenen Schrecken am einfachsten aus der Sicht der Zivilbevölkerung erzählen, geht mit dem familiären Leid doch ebenso jenes der Kinder einher, die mit der Situation doch am wenigsten anfangen können. Genau aus diesen Kinderaugen erzählte Guillermo del Toro mit seinem Drama „Pans Labyrinth“ vor einigen Jahren vom Faschismus in Spanien, während Cate Shortland mit ihrem Drama „Lore“ gleich einige Kinder in den Kriegswirren allein hat Deutschland durchqueren lassen. Mit der Literaturverfilmung „Das große Heft“ verstärkt nun Regisseur János Szász jedoch alles zuvor gesehene Leid, denn obwohl der eigentliche Krieg kaum thematisiert wird, lassen einen die dargebotenen Bilder auch lange Zeit nach dem Film nicht mehr los.

Ungarn im Jahre 1944: Der Zweite Weltkrieg hat langsam seinen Höhepunkt erreicht und so werden zwei namenlose neunjährige Zwillinge (András Gyémánt, László Gyémánt) zu ihrer Oma (Piroska Molnár) an die Grenze gebracht, welche nicht nur ihre Tochter (Gyöngyvér Bognár) seit nunmehr 20 Jahren, sondern ihre Enkel ebenso wenig gesehen hat. Die alte Frau wird von ihren Nachbarn nur die Hexe genannt, ist grimmig und gnadenlos und so müssen die beiden hart für ihre Bleibe, ihr Essen und das Überleben arbeiten, doch alles was sie erleben, wird detailgetreu in einer Kladde festgehalten, wie sie es ihrem Vater versprachen, bevor dieser wieder in die Wirren des Krieges ziehen musste. Die beiden geben sich mit ihrem Umfeld ab, versuchen sich dagegen abzuhärten, indem sie körperlichen Schmerz, Hunger und Demütigungen eisern zu ertragen versuchen. Eine letzte Prüfung soll am Ende noch fehlen, welche sie diesmal jedoch nicht gemeinsam durchstehen können…

Das große HeftEs gibt immer wieder vereinzelnde Filme über die es alles andere als leicht ist zu berichten, Filme die aufs Gemüt schlagen und die einen noch lange nach dem sehen einfach nicht los lassen können. Der neuste Film des ungarischen Regisseur János Szász (Die Witman Brüder) ist eines dieser Werke, bei dem man noch lange darüber nachdenken muss, bei dem man selbst ein wenig erlebtes Reflektiert, nur um das Werk anschließend in seiner Gänze zu verstehen. Die Adaption von „Das große Heft“ basiert auf dem überaus erfolgreichen Roman „Le Grand Cahier“ der ungarisch-schweizerischen Autorin Agota Kristof (Brenne im Wind), welchen das Autorenteam bestehend aus János Szász, Tom Abrams (Performance Pieces) und András Szekér (Senki szigete) versucht hat mit all dem darin enthaltenden Leid auf die große Leinwand zu transportieren.

Die entsprechende Adaption des zugrunde liegenden Romans ist beim besten Willen keine einfache Kost, denn obwohl die eigentlichen Kriegswirren bestenfalls am Ende kurz angedeutet werden, transportiert „Das große Heft“ doch in erster Linie volle zwei Stunden Leid, wenn zwei Brüder gemeinsam ums Überleben zu kämpfen versuchen. Genau dies soll sich alles andere als einfach herausstellen, denn während man sich auf der einen Seite dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs behaupten muss, existiert auf der anderen Seite eine verbitterte alte Frau, die ihren Ärger auf ihre leibliche Tochter vielmehr auf ihre Enkelkinder ablädt.

Das große HeftEs folgen Szenen in denen die beiden im kalten Winter draußen bis zur Erschöpfung schuften müssen, Szenen in denen sie auf dem kalten Boden neben dem Ofen schlafen, während es nur dünne Suppe als Nahrung für harte Arbeit gibt. Diese Zeit wird in einem Tagebuch niedergeschrieben wie sie es einst ihrem Vater versprachen, doch obwohl in diesen Niederschriften und den damit verbundenen Zeichnungen viel vom Alltag wiedergegeben werden kann, soll der Schrecken in seiner Gänze nur in den Bildern von Kameramann Christian Berger (Das weiße Band) zum Ausdruck kommen. In überwiegend sehr kalten Bildern die von Grau- und Brauntönen gezeichnet sind, wird so versucht das unsagbare Leid dieser Kinder abzubilden, deren Leben durch den Krieg und den damit verbundenen Qualen gezeichnet ist.

Diese Erfahrungen finden sich jedoch nicht alle in besagter Kladde wieder, denn dort kommen nur die „wahren“ Dinge hinein, wie ein ums andere Mal in einem Nebensatz erwähnt wird. So werden Teile ihre Alltags niedergeschrieben, Pflanzen hinein geklebt, Zeichnungen des nahen Lagers angefertigt, dass ganz ohne Frage ein Konzentrationslager ist, mit Worten jedoch nie thematisiert wird. Ganz anders sieht es mit jenen Taten aus die definitiv böse sind, denn obwohl beide die Bibel lesen und diese zum Teil sogar auswendig lernen, passen sie sich doch ihrer Umwelt an, den Taten der restlichen Menschen um sie herum, von denen sie nur schlechtes lernen. Anhand von Käfern lernen beide das Töten, mit den Schlägen der eigenen Gürtel härten sie sich gegen jene der Oma ab, mit dem Fasten wird sich gegen den Hunger gewehrt, sodass diese Dinge keine Angriffsfläche mehr bieten.

Das große HeftDie Stimmung wird neben den bereits erwähnten sehr kalten Bildern ebenso durch den sehr eindringlichen Score zum Ausdruck gebracht, der überwiegend mit schweren Trommelschlägen daherkommt, die vom drohenden Unheil jederzeit berichten. So werden negative Taten bereits im Vorfeld angekündigt, die rettende Rote Armee als eben doch nicht der zu erwartende Retter deklariert, während auch gegen Ende die Grundstimmung noch weiter ins negative fällt, müssen die beiden doch auch noch eine allerletzte Prüfung bestehen, um wirklich gegen alles gewappnet zu sein.

Bei alledem sehen wir in erster Linie zwei überragende Jugenddarsteller, die bis zum Zeitpunkt des Drehs über keinerlei Leinwanderfahrung verfügt haben. Das Spiel von András und László Gyémánt ist zuweilen so unglaublich intensiv, die schlimmsten Erfahrungen bringen diese mit einem Ernst und zuweilen auch mit einer so unglaublichen Gleichgültigkeit herüber, sodass man sehenswert jene Veränderung sehen kann, die der Krieg an beiden vornimmt. Neben diesen sehen wir in den Nebenrollen Piroska Molnár (Liza, the Fox-Fairy) als deren Oma die ihre eigene Wut auf ihre Enkel ablädt, während Ulrich Thomsen (Das Fest) jenen homosexuellen Offizier gibt, der sich auf dem Hof der Familie am Wochenende einnistet.

Mit „Das große Heft“ schafft es János Szász eine in allen Belangen großartige Adaption der Romanvorlage von Agota Kristof abzuliefern, die uns in erschreckenden Bildern jene Veränderung zeigt, die mit zwei Kindern in den Wirren des Krieges vor sich geht. Großartig gespielt, eine ungemein emotionale Geschichte, während Kameramann Christian Berger dies alles in kalte und dennoch wunderschöne Bilder verpackt.

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Wir vergeben daher 8 von 10 Filmpunkten.

Copyright: Piffl Medien

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Das große Heft

Länge: 109 min

Kategorie: Drama

Start: 09.05.2014

cinetastic.de Filmwertung: (8/10)

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Info

Das große Heft

Das große Heft

Geschrieben von Ronny Dombrowski

Länge: 109 min
Kategorie: Drama
Start: 09.05.2014

Bewertung Film: (8/10)

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