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Toni Erdmann

Geschrieben von Ronny Dombrowski am 8. Juni 2016

Toni Erdmann

Wer hätte das gedacht? Acht lange Jahre liegt der letzte deutsche Beitrag im Wettbewerb von Cannes – dem wichtigsten europäischen Filmfestival – zurück und dann kommt Regisseurin Maren Ade mit solch einem Film. Im Vorfeld noch verhaltenes Getuschel, in der Pressevorführung lautes Lachen und minutenlanger Applaus, doch am Ende sollte es leider für keinen Preis reichen. Nichtsdestotrotz ist „Toni Erdmann“ ganz großes Kino, das man unbedingt gesehen haben sollte.

Toni ErdmannDie Beziehung zwischen dem 60-jährigen Lehrer Winfried Conradi (Peter Simonischek) und seiner Tochter Ines (Sandra Hüller) könnte man mit viel Wohlwollen als etwas unterkühlt bezeichnen, denn während Winfried noch immer das Kind im Manne ist, versucht sich Ines als taffe Geschäftsfrau am anderen Ende der Welt in einer reinen Männerdomäne durchzusetzen. Eines Tages beschließt Winfried seine Tochter in Bukarest zu besuchen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings vor einem wichtigen Abschluss mit einem ihrer Mandanten steht. Es kommt, wie es kommen musste, die Fetzen fliegen, Winfried reist überhastet ab und Ines hat erneut ihre Ruhe, doch als sie abends mit ihren Freundinnen ausgeht, steht plötzlich ihr Vater vor ihr und gibt sich als Toni Erdmann aus. Das Chaos scheint vorprogrammiert zu sein, denn ausgerechnet jetzt lernt dieser auch noch den Mandanten seiner Tochter kennen.

Zuletzt thematisierte Filmemacherin Maren Ade (Der Wald vor lauter Bäumen) auf der Berlinale mit „Alle anderen“ die zerbrechliche Liebe zwischen Mann und Frau, nun nimmt sie sich der Beziehung zwischen Vater und Tochter an, bei der es ebenso viel zu erzählen gibt. Dass Maren Ade damit am Wettbewerb von Cannes teilnehmen durfte, ist eine Auszeichnung für den deutschen Film, dass sie damit nicht gewinnen konnte, kann man in Anbetracht der Jury-Entscheidungen in diesem Jahr beinahe als Nebensächlichkeit bezeichnen.

Toni ErdmannFür Maren Ade standen schon immer die Figuren im Mittelpunkt ihrer Geschichten und so nimmt sie sich auch diesmal alle Zeit der Welt, um eben diese möglichst detailliert vorzustellen. Die taffe Geschäftsfrau Ines, die bereits seit Jahren in Bukarest lebt und nur am Handy klebt, der verschrobene Lehrer Winfried, der absolut nichts ernst nehmen kann und alles ins Lächerliche zieht, und natürlich dessen geschiedene Ehefrau, die davon bereits vor vielen Jahren Abstand genommen hat. Alle drei sehen sich bestenfalls zu größeren Familienfeiern, zum Geburtstag wird einmal telefoniert, und wenn man nicht gerade zufällig über den jeweils anderen stolpert, sieht man sich oftmals erst in einem Jahr wieder.

Basierend auf dieser recht trübseligen Ausgangslage, fragt sich Maren Ade, was wohl passieren würde, wenn der Vater plötzlich zu einer Zeit Interesse an seiner Tochter zu zeigen begänne, da es dieser so gar nicht passen würde. Genau dieser Konflikt wird nach rund einer Stunde (der Film geht über zweieinhalb Stunden) bewusst gesucht, woraufhin Ines nicht nur ihren Vater verleugnet, sondern dieser sich fortan auch einen Spaß daraus macht, mit seiner Tochter, ihren Freundinnen und ihren Geschäftspartnern zu spielen. Mit viel subtilem Witz entsteht so ein Drama, das ungemein viele Lacher beinhaltet, das zuweilen aber auch so unglaublich ernst herüberkommt, dass man als Zuschauer womöglich das eigene Verhältnis zu seinen Kindern oder auch zu seinen Eltern zu überdenken beginnt.

Toni ErdmannSo witzig, charmant und überaus interessant dieser Teil aber auch ist, so fällt zuweilen der Rest des Filmes ein wenig ab, wenn es um das Geschäftsgebaren in Bukarest geht. An dieser Stelle muss man allerdings auch dagegenhalten, dass es Kritik auf unglaublich hohem Niveau ist. „Toni Erdmann“ macht einfach unglaublich viel Spaß, die Nacktszene gegen Ende wird in nahezu jedem Kino minutenlangen Applaus erhalten und betrachtet man die Leistung der beiden Hauptdarsteller, so gibt es im Grunde überhaupt gar nichts zu kritisieren. Peter Simonischek (Oktober November) spielt den kaum gealterten Winfried mit so viel Hingabe und Eleganz, dass beinahe jedes Spiel seiner Mimik auch ohne Dialoge für reichlich Lacher sorgen wird. Im direkten Vergleich steht diesem Sandra Hüller (Über uns das All) jedoch in kaum einer Szene nach, denn obwohl ihre Figur das komplette Gegenteil verkörpert, absolviert sie nahezu jede Szene mit Bravour und trumpft gegen Ende hin noch einmal ganz groß auf, wozu wir an dieser Stelle aber nicht zu viel verraten möchten.

Mit „Toni Erdmann“ präsentiert Maren Ade einen wirklich einzigartigen Film, der nicht nur völlig zu Recht im Wettbewerb von Cannes lief, sondern auch ein wenig Hoffnung darauf macht, dass der deutsche Film nicht vollends verloren ist. Ganz großes Kino mit viel Gefühl und noch mehr guter Lacher.

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Wir vergeben daher 9 von 10 Filmpunkten.

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Toni Erdmann

Länge: 162 min

Kategorie: Comedy, Drama

Start: 14.07.2016

cinetastic.de Filmwertung: (9/10)

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Info

Toni Erdmann

Toni Erdmann

Geschrieben von Ronny Dombrowski

Länge: 162 min
Kategorie: Comedy, Drama
Start: 14.07.2016

Bewertung Film: (9/10)

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