Der neue, aufwändige Streich des mexikanischen Filmmachers Alejandro González Iñárritu („Birdmen“, „Amores Perros“) zeigt Hollywoodstar Leonardo DiCaprio als Trapper im elenden Überlebenskampf mit der winterlichen Natur. Soweit eine absehbare Survival-Geschichte nach historischem Vorbild, atemberaubend und hochgradig packend hingegen ist die wuchtige und dreckige, zum Anfassen nahe Inszenierung. Das hat jüngst schon mal für einige Golden Globe-Nominierungen gereicht und „The Revenant – Der Rückkehrer“ wird sicher auch bei der Verteilung der Oscars eine Rolle spielen.
Im Jahr 1822 schließt sich der Trapper Hugh Glass (Leonardo DiCaprio) zusammen mit seinem Sohn Hawk (Forrest Goodluck) einer Expedition der Rocky Mountain Fur Company an. Nach einigen erfolgreichen Jagdmonaten in der Wildnis werden die Pelzjäger von Indianern angegriffen und müssen fliehen. Unterwegs wird Hugh Glass von einem Grizzlybären attackiert und lebensgefährlich verwundet. Captain Henry (Domhnall Gleeson) beschließt, den Mann unter dem Schutz des jungen Bridger (Will Poulter) und John Fitzgerald (Tom Hardy) zurückzulassen. Nachdem Fitzgerald aus einem Missverständnis heraus Glass’ Sohn tötet, überredet er Bridger den Sterbenden zurückzulassen, indem er lügt, Indianer gesichtet zu haben. Doch Hugh Glass ist nicht tot. Allerdings kaum in der Lage sich fortzubewegen. Ausgestattet nur mit einem Bärenfell beginnt er kriechend und angetrieben von Rache seinen 300 Kilometer langen Weg nach Fort Kiowa – durch feindliches Indianerland und winterliche Kälte.
Die Geschichte des Trappers Hugh Glass ist bezüglich der Grizzly-Attacke und des Überlebenskampfes in der winterlichen Wildnis historisch belegt. Seine Familienverhältnisse und das Leben mit einem Indianerstamm, das Iñárritu Film in tragischen Rückblenden nahelegt, sind es nicht. „The Revenant“ stützt sich zumindest in Teilen auf das gleichnamige Buch von Michael Punke von 2002, das pünktlich zum Filmstart auch auf Deutsch vorliegt („Der Totgeglaubte“, Piper Verlag).
Glass‘ Grizzly-Attacke und sein Überlebenskämpf wurden bereits 1971 in dem Film „Ein Mann in der Wildnis“ adaptiert. Nach dem überraschenden Erfolg des Westerns „Ein Mann, den sie Pferd nannten“ (1970) suchte man nach ähnlichen Westerngeschichten und schickte Hauptdarsteller Richard Harris erneut nach einem Drehbuch von Jack De Witt in feindliche Umgebung. Allerdings warf man dem Film vor, sich nicht zwischen Abenteuer und Charakterstudie entscheiden zu können. Anders Iñárritus „The Revenant“: Hier geht es um nicht weniger als den existentialistischen Widerstreit zwischen Mensch und barbarischer Natururgewalt. Das Rachemotiv, das Glass antreibt, sich diesem Existenzkampf überhaupt zu stellen, genügt allenfalls Genrekonventionen des Westerns beziehungsweise Anti-Westerns, reicht aber eigentlich nicht aus, um die physisch und psychisch extrem präsente Leinwandpein zu rechtfertigen.
Was treibt den Mann an, der alles verloren hat? In Traumsequenzen, die beizeiten an „Gladiator“ erinnern, erscheint dem Schwerstverwundeten seine massakrierte Frau, Knochenberge wollen bestaunt werden und völlig zerstörte Indianerlager schwelen düster und tauwassertropfend in die fahlen Winterhimmel. Damit fügt sich der Traum nahtlos auch in die abweisende winterliche Wildnis, durch die sich Glass kämpfen muss. Das Leinwandgeschehen ist brachial und extrem körperlich und sehr intensiv und brillant gefilmt. Kameramann Emmanuel Lubezki (u.a. „Birdman“, „Gravity“, „The New World“) gehört momentan zweifellos zu den besten seines Fachs und verleiht „The Revenant“ allein mit seiner Kameraführung, die häufig nah am Boden zu kleben scheint, mit großartigen Plansequenzen und majestätisch orchestrierten Landschaftstotalen eine beinahe greifbare Intensität. So etwas bekommt man als Filmzuschauer selten geboten. Fragt sich allerdings, wer sich dieser visuellen Intensität, die durchaus mit Nikolas Winding Refns „Walhalla Rising“ (2009) vergleichbar ist, aussetzen will.
Auch die Drehorte in Kanada und Argentinien, die den Dreh erheblich erschwerten, sind großartig gewählt und vermitteln von Beginn an eine klamme Kälte, die den Zuschauer bis zum Filmende mitfrösteln lässt. Da hinein fügt sich auch das Kostümdesign. Vor allem aber ist das harsche, harte Leben, das sich hier entfalten kann, die Grundlage für Leonardo DiCaprios sehr intensive, wortkarge Darstellung, zu der Tom Hardy anfangs einen soliden, ebenso physischen Gegenpart darstellt. Später bekommt es der Leidgeschundene mit einem weitaus unberechenbareren Gegner zu tun – der Wildnis. Ob es für Leonardo DiCaprio dieses Mal zum Oscar reich, bleibt trotz aller Intensität fraglich.
Bei dem Western, der „The Revenant – Der Rückkehrer“ zweifellos ist, exerziert Regisseur Iñárritu sämtliche überlebensrelevanten Situationen bis ins Detail aus, bis hin zum Frostschutz im ausweideten Pferd. Das ist dann im Endeffekt ein bisschen zuviel des Guten und wirkt, als müsse der Filmmacher noch die komplette Liste mit potentiellen Bedrohungen und Hindernissen in den 150 Filmminuten unterbringen. Abgesehen von dem individuellen Überlebenskampf scheint „The Revenant – Der Rückkehrer“ kein Thema zu haben. Zumindest werden Anspielungen auf den Genozid an den Ureinwohnern und einige metaphysische Aspekte nur auf diffuse Weise eingestreut, so wie Filmmacher Terence Malick das in seinem Spätwerk zu tun pflegt.
Das archaische Survival-Rache-Epos „The Revenant – Der Rückkehrer“ ist intensiv und packend bis zum Schluss, was vor allem an der furiosen Inszenierung und der kongenialen Filmmusik liegt, und weniger der Story geschuldet ist.