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Love & Mercy

Geschrieben von Peter Gutting am 30. April 2015

Love & Mercy

Sechs Schauspieler setzte Regisseur Todd Haynes in „I’m not there“ ein, um der Vielschichtigkeit von Bob Dylan gerecht zu werden. In der Filmbiografie über den „Beach Boy“ Brian Wilson begnügt sich Bill Pohlad mit zwei Darstellern. Aber das heißt nicht, dass das Leben des kalifornischen Popstars weniger interessant wäre als das seines Kollegen aus Minnesota. Ganz im Gegenteil. Regisseur Pohlad zeichnet ein vielschichtiges Bild zwischen Genie und Wahnsinn.

Love & MercyPaul Dano („Little Miss Sunshine“) und John Cusack (“Maps to the Stars”) verkörpern Brian Wilson in “Love & Mercy”. Dano gibt ihn als den verträumten, besessenen Komponisten von Jahrhundertsongs wie „Good Vibrations“ in den 1960ern. 20 Jahre später zeigt ihn Cusack als gebrochenen, von Psycho-Pillen gezeichneten Mann an einem der Tiefpunkte seines Lebens. In dem Hin und Her der Zeitebenen entfaltet sich eine Psycho-Logie, die sich linearen Erklärungs-und Erzählmustern widersetzt.

Brian Wilson gründete die „Beach Boys“ zusammen mit seinen jüngeren Brüdern Dennis und Carl und Cousin Mike Love. 1962 landeten sie mit „Surfin Safari“ ihren ersten Hit. Bald war die Band so bekannt wie die „Beatles“, mit denen sich Brian Wilson einen kreativen Wettkampf um die komplexesten Harmonien lieferte. Doch schon früh setzten psychische Probleme dem ältesten Bruder und dem Bandleben zu. 1964 erlitt Brian während einer Tournee einen Nervenzusammenbruch. 1967 führte der Streit um das Album „Smile“ zu einem weitgehenden Rückzug des kreativen Kopfes.

Love & MercyIn den 1980ern gerät Brian immer stärker unter den Einfluss des Psychotherapeuten Eugene Landy (Paul Giamatti), der ihn rund um die Uhr überwachen lässt. Nicht einmal ein Auto kann sich Wilson in dieser Zeit allein kaufen. Aber immerhin: Er darf es aussuchen. Und das ist der Moment, in dem er Melinda Ledbetter (Elizabeth Banks) kennenlernt. Das Ex-Model arbeitet in einem Autohaus und zeigt ihm den Cadillac – in einer Schlüsselszene des Films, die in wenigen Sekunden ein Leben aufblättert. Eigentlich müsste sich Melinda vorkommen wie in dem Bap-Song mit der Zeile „Nein, den Typ kriegst du wirklich nicht mehr hin“ – so unsicher und verschroben wirkt der Mann, der sich mit ihr im Wagen einschließt, um seinen Aufpassern für einen Augenblick zu entkommen. Aber da schwingt etwas anderes mit in der übergriffigen Situation – eine Antenne für den Hilferuf, den Brian gegen seinen Willen loslässt. Melinda jedenfalls begreift sehr schnell, wie schädlich Landy für Wilson ist.

Love & MercyNatürlich werden in „Love & Mercy“ viele Beach-Boys-Hits gespielt, schon allein wegen der zahlreichen Studio-Szenen, in denen Bill Pohlad und sein Drehbuchautor Oren Movermann die außergewöhnliche Begabung, aber auch den Perfektionismus des Komponisten Brian Wilson sezieren. Aber im Grunde ist „Love & Mercy“ kein Musikfilm. Er ist nicht einmal eine Biografie im eigentlichen Sinn. Sondern der Versuch einer Annäherung an ein Leben, das sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln und auf verschiedenen Zeitebenen immer neu darstellt. So ähnlich, wenn auch nicht ganz so experimentell wie bei Todd Haynes‘ „I’m not there“, an dem Oren Movermann übrigens als Co-Autor mitgewirkt hat.

Zwar übertreibt es der Film gegen Ende ein wenig mit der Heldenverehrung. Und auch das stellenweise melodramatische Ausspielen der Liebesgeschichte dürfte dem Schielen auf ein möglichst breites Publikum geschuldet sein. Zu 90 Prozent jedoch hält sich die zweite Regiearbeit des Produzenten Bill Pohlad mit vorgefertigten Schablonen wohltuend zurück. In der Regel verlässt sie sich auf schöne visuelle Einfälle sowie auf Bilder, die sich erst nach und nach im Kopf des Zuschauers zusammensetzen. Wie etwa in der berührenden Einstellung, in der Brian wie versunken am Klavier sitzt und die Kamera erst nach einer Weile mit einer sanften Bewegung den Blick freigibt – und klarmacht, dass da die ganze Zeit ein Zuhörer im Raum war: Brians strenger und missmutiger Vater.

„Love & Mercy“ greift zwei entscheidende Stationen heraus, um ein ganzes Leben zu erzählen. Mit diesem dramaturgischen Schachzug gelingt es dem Regisseur und seinem Drehbuchautor, die kausalen Erklärungsmuster üblicher Filmbiografien zu unterwandern. Dennoch kann sich der Zuschauer an einem soliden Erzählgerüst festhalten und braucht nicht durch experimentelles Gelände zu irren.

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Wir vergeben daher 7 von 10 Filmpunkten.

Copyright: Studiocanal

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Love & Mercy

Länge: 120 min

Kategorie: Biography, Drama, Music

Start: 11.06.2015

cinetastic.de Filmwertung: (7/10)

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Info

Love & Mercy

Love & Mercy

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 120 min
Kategorie: Biography, Drama, Music
Start: 11.06.2015

Bewertung Film: (7/10)

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