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Eine Taube sitzt auf einem Zweig

Geschrieben von Frank Schmidke am 23. Oktober 2014

Taube-sitzt-auf-zweig-1…und denkt über das Leben nach“. So lautet der vollständige Titel von Roy Anderssons jüngst in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichneter Komödie. Im Mittelpunkt, wenn man denn einen ausmachen kann, von Andersons „drittem Teil einer Trilogie über das Menschsein“, stehen zwei nicht eben erfolgreiche Vertreter für Scherzartikel und ihr Weltverbesserungsanliegen: „Wir wollen den Menschen helfen, Spaß zu haben.“ Das schafft „Eine Taube sitzt auf einem Zweig…“ nur bedingt.

Bewaffnet mit einem Musterkoffer mit drei Artikeln wanken Jonathan (Holger Andersson) und Sam (Nils Westblom) durch Göteborg und verkaufen als Vertreter Scherzartikel. Ihre Kollektion beinhaltet einen Lachsack, ein Vampirgebiss (auch mit extra langen Eckzähnen) und eine Gevatter Einzahn Maske. Die beiden haben, wie auch ihre Artikel, schon erfolgreichere Tage gesehen und so verwundert es kaum, dass das ältliche Duo in einer Absteige wohnt, die mit Pförtner und grauen Wohnzellen an ein Heim für alte Männer gemahnt. Immer wieder kommt es für die beiden zu skurrilen Begegnungen, in und um die herum Regisseur Roy Andersson auch andere schräge Betrachtungen einbaut, deren Zusammenhang nicht immer zu erschließen ist.

Taube-sitzt-auf-zweig-2Roy Andersson ist inzwischen auch schon über 70 und hat nicht eben viele Spielfilme gedreht. Nach drei Filmen in den 1970ern machte er erst wieder 2000 mit „Songs from the second Floor“ auf sich aufmerksam. 2007 folgte dann „das jüngste Gewitter“ und nun, wieder sieben Jahre später, kommt  als dritter Film der Trilogie „Eine Taube sitzt auf einem Zweig“. Dazwischen einige Kurzfilme und vor allem Werbefilme für den Lebensunterhalt. Wer die anderen beiden Trilogiebeiträge kennt, weiß, was ihn erwartet. Eine statische Kamera filmt gemäldeartig inszenierte Tableaus, häufig auch mit Trompe-l’œil (illusionistische Malerei, die Dreidimensionalität vortäuscht) ausgestattet, in denen die Figuren mit geradezu lakonischer Langsamkeit agieren. Häufig ist das kein interagieren, sondern ein aneinander vorbei kommunizieren, das einen Großteil des Humors ausmacht.

Taube-sitzt-auf-zweig-5Von dieser handwerklich grandios umgesetzten Machart weichen Andersson und seine Kameraleute István Borbás und Gergely Pálos nicht ab. Darauf muss man sich als Zuschauer einlassen wollen, denn sonst ist der Reiz des Filmes nach einigen Szenen verpufft. Und die insgesamt 39 Szenen werden zu einem lose verknüpften Schaulaufen immer ähnlicher Machart, in der sich viele der interessanten Aspekte im Bildhintergrund abspielen, während im Vordergrund Alltägliches in tragikomischer Weise und Banales in überdramatisierter Art vorgetragen wird. Das erinnert nicht zuletzt an das Absurde Theater Becketts und nicht umsonst mag einer der Vertreter Sam heißen. Wie Vladimir und Estragon warten auch sie auf etwas, das aller Hoffnung zuwider wohl nicht mehr kommen wird.

„Eine Taube sitz auf einen Zweig…“ denkt in der Tat über das Menschsein nach. Konsequenter Weise beginnt der Film also mit drei Begegnungen mit dem Tod, die auf schräge Weise lustig sind und endet mit zwei Sequenzen über den Homo sapiens, in denen er sich alles andere als weise verhält. Dazwischen zumeist Szenen aus dem Leben der Scherzartikelvertreter und erstaunliche, fantastische Kneipenszenen in Göteborg, die Ausflüge in die schwedische Vergangenheit unternehmen. Das hat durchaus Hintersinn und regt beizeiten auch durch seinen lakonischen, bizarren Humor zum Nachdenken an; allein, Andersson überspannt den Bogen, vieles bleibt auf Sketchniveau und ohne Verknüpfung zum großen Ganzen. Weniger wäre hier stimmiger gewesen.

Taube-sitzt-auf-zweig-3Die namensgebende Taube kommt in Anderssons Film übrigens nur indirekt vor und das an mehrerer Stellen: Anfangs ausgestopft in einer Museumsvitrine gegenüber eines im Angriffsflug arrangierten Greifvogels, dann mehrfach in Form von Taubengurren aus dem Off und als Gegenstand eines Gedichtes. Das will ein behindertes Mädchen auf einem Vortragsabend in der Schule zum Besten geben, kommt aber nicht dazu, weil der Lehrer ihr mit Fragen den gesamten Inhalt schon entlockt. Oder war das schon das Gedicht?  Jene Gedichttaube jedenfalls sitzt auf einem Zweig und denkt nach weil sie kein Geld hat. Darf man andere Menschen eigentlich zu seiner Belustigung missbrauchen? Eine weitere Frage aus „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“, der nachzugehen sich lohnt.

Trotz handwerklicher Originalität und einiger wahrlich hinreißender Szenen will Roy Anderssons jüngstes Werk nicht so recht zünden. Man hat das Gefühl, der Filmmacher würde sich wiederholen. Bei dem Finnen Aki Kaurismäki, der in einigen Filmen einen ähnlich lakonischen, zähen Humor zeigt, wird wenigstens noch gesoffen.

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Copyright: Neue Visionen

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Länge: 101 Minuten

Kategorie: Comedy, Drama

Start: 01.01.2015

cinetastic.de Filmwertung: (6/10)

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Eine Taube sitzt auf einem Zweig

Geschrieben von Frank Schmidke

Länge: 101 Minuten
Kategorie: Comedy, Drama
Start: 01.01.2015

Bewertung Film: (6/10)

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