Für die deutsche Regisseurin Maria Speth standen in all ihren drei Spielfilmen Frauen im Mittelpunkt, die im Grunde in kein normales Raster passen. Es waren verlorene Existenzen, Schattengestalten, Frauen, die gegen jedwede Erwartung leben oder handeln. In „Töchter“ soll dies nun ebenso der Fall sein, wenn Speth gleich zwei Damen in den Mittelpunkt rückt, die unterschiedlicher nicht sein könnten und dennoch magisch von einander angezogen werden.
Agnes (Corinna Kirchhoff) ist eine Lehrerin aus der hessischen Provinz die nach Berlin kommt, um dort ein totes Mädchen zu identifizieren. Besagte junge Frau könnte ihre fünfzehnjährige Tochter Lydia sein, doch die Gegenüberstellung erweist sich zum Glück als Fehlanzeige. Dennoch verbleibt Agnes in Berlin, stets auf der Suche nach ihrer Tochter, ziellos durchstreift sie die Stadt.
Die Obdachlose Ines (Kathleen Morgeneyer) durchstreift ähnlich zielsuchend Berlin, bis sie plötzlich von Agnes angefahren wird. Ines besitzt kein festes zuhause, nennt sich selbst eine Künstlerin, ohne jedoch die Kunst selbst zu leben und zu atmen. Ines ist eine Art Freigeist, jemand der offen auf andere zugeht und so dringt sie auch mit völliger Verständlichkeit in das Leben von Agnes ein, die dies völlig perplex zulässt und unfähig ist etwas dagegen zu unternehmen. Beide leben nun fortan im gemeinsamen Hotelzimmer, Ines bedient sich Agnes ihrer Kleidung, selbige ist tagsüber unterwegs, um ein Lebenszeichen ihrer Tochter zu finden. Was verbindet diese beiden Frauen, wohin zieht es sie und warum weist sie Ines nicht einfach der Tür?
Egal ob es „In den Tag hinein“ oder „Madonnen“ war, ein jeder ihrer Spielfilme war für Regisseurin Maria Speth (9 Leben) ein sehr persönliches Werk, entstehen die im Mittelpunkt stehenden Figuren doch zumeist aus realen Personen heraus, mit denen Speth in Kontakt gekommen ist. Auch „Töchter“ basiert lose auf realen Personen, ist gleichwohl aber auch eine indirekte Fortsetzung von „Madonnen“, lebte dort eine der Figuren doch überwiegend auf der Straße. „Töchter“ wäre dahingehend eine logische Fortsetzung gewesen, ein Aufeinandertreffen von Mutter und Tochter, rückblickend auf ein Leben voller Probleme und Kompromisse, die es gilt aufzuarbeiten.
Maria Speth war daran aber gar nicht gelegen, denn sie wollte vielmehr von zwei Situationen erzählen, ohne den Ballast der Vergangenheit mitzunehmen und aufarbeiten zu müssen. Von daher waren die fünf Tage in „Töchter“ ein logischer Kompromiss, denn rückblickend auf die rund anderthalb Stunden muss man als Zuschauer zugeben, kaum etwas über die eigentlichen Figuren erfahren zu haben. Agnes ist Lehrerin und auf der Suche nach ihrer Tochter, warum diese von zuhause mit nur 15 Jahren fortgelaufen ist, wird niemals geklärt. Ines war einmal Künstlerin, arbeitete in einem Atelier, nutzte dies jedoch überwiegend zum schlafen. Seitdem überlebt sie als Schmarotzerin, ein Individuum das sich offen gegen das bestehende System auflehnt, ohne das der Zuschauer über das Wie oder Warum weitergehend informiert wird.
Im Grunde geht es nur um das gemeinsame Leben miteinander in diesen fünf Tagen, einem Leben, dass für den Zuschauer kaum greifbar ist. Ines dringt offen in jenes von Agnes ein, diese wiederrum lässt es aus Angst, gleichwohl aber auch aus einer Art Interesse zu, könnte Ines doch durchaus mit ihrer Tochter vergleichbar sein. Das Warum oder Weshalb soll in „Töchter“ nicht wichtig sein, denn im Grunde macht dieser Film auch alles andere als Spaß zu schauen. Er drückt vielmehr kalte Distanz aus, die zum Teil hochtrabenden Dialoge gehen einher mit der beinahe schon klinischen Reinheit, die jedwede Wärme vermissen lässt. In den Innenaufnahmen vom Hotel wird dadurch eine Art Mauer zwischen beiden Protagonisten errichtet die zu keiner Zeit überwunden wird, in den Außenaufnahmen wird man vornehmlich mit den wirklich hässlichen Seiten Berlins konfrontiert, die niemand gern kennenlernen möchte.
Für selbige Aufnahmen zeichnet sich erneut Kameramann Reinhold Vorschneider (Der Räuber) aus, mit dem Maria Speth auch schon in den letzten Filmen zusammenarbeiten durfte. Seine Bilder sind überwiegend kalt, nichts aussagend, gleichwohl aber auch stets ganz nah bei den Protagonisten. Das „Töchter“ trotz allem dennoch sehenswert ist, ist dem Spiel der beiden Theaterdarsteller Corinna Kirchhoff (Die Reise) und Kathleen Morgeneyer (Das merkwürdige Kätzchen) zu verdanken, die hier wirklich zur Höchstform auflaufen. Kirchhoff über weite Strecken absolut distanziert, wortkarg und zurückhaltend, nur um im nächsten Moment aus sich heraus zu gehen. Ganz anders präsentiert sich Morgeneyer, die mit absoluter Natürlichkeit Nacktszenen spielt, wo diese im Grunde gar nicht nötig gewesen wären. Frech, vorlaut und bestimmend, so kennen wir sie!
Maria Speth ihr dritter Spielfilm macht alles andere als Spaß, dennoch ist er wirklich sehenswert, wenn man denn bereit ist sich auf dieses ungewöhnliche Werk einzulassen. Man darf schon jetzt auf die Fortsetzung gespannt sein, die womöglich auch hier wieder anknüpfen wird.