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Amma & Appa

Geschrieben von Peter Gutting am 24. Juli 2014

Amma & Appa

Man braucht nur zwei Buchstaben zu vertauschen. Schon wird aus „Mama und Papa“ das tamilische „Amma und Appa“. Viel komplizierter ist dagegen die wechselseitige Einfühlung in die jeweils andere Kultur: hier die traditionsbewussten bayerischen Eltern und dort die noch deutlich konservativeren Familienoberhäupter im indischen Bundesstaat Tamil Nadu. Das Liebespaar Franziska Schöneberger und Jay Subramanian weiß aus eigener Erfahrung, wie sich eine nicht ganz einfache Familienzusammenführung anfühlt. Und weil sie beide Regisseure sind, haben sie kurzerhand einen Dokumentarfilm darüber gedreht. Herausgekommen ist eine sehr persönliche Erkundung von Paarbeziehungen im Kulturschock – und zugleich ein Feelgood-Movie im Stile von „Die mit dem Bauch tanzen“.

Amma & AppaFranziska hat Jay bei ihrer Recherche für einen Film über die indische Independent-Szene kennengelernt. Seither sind die beiden ein Paar, das seine Liebe auch über längere Fernbeziehungen rettet. Jay hat Franziskas Eltern Christine und Albert unterm Tannenbaum in München besucht. Aber die eigenen Eltern sollten erstmal nichts von der Liebe zu der Deutschen wissen. Der studierte Künstler und Grafikdesigner wollte sich den Stress mit Amma und Appa ersparen. Aber das geht jetzt nicht mehr, denn die Eltern haben eine Braut für den Sohn ausgesucht, die er sich doch mal anschauen solle. Dass der Sprössling stattdessen auf einer Liebesheirat beharrt, ist für die Eltern eine Art Höchststrafe.

Das ändert sich auch nicht, als sie Franziska kennenlernen. Doch während ihres Besuchs in Indien reift in der jungen Frau eine Idee: Wenn Amma und Appa auf Mama und Papa träfen, würde das interkulturelle Eis schon schmelzen. Die Inder würden merken, dass selbst in Deutschland nicht alle Ehen geschieden werden und jegliche Tradition den Bach runtergeht. Christine und Albert Schöneberger tun ihrer Tochter den Gefallen. Lederhose und Dirndl wandern in die Koffer für den Flug nach Südindien. Aber wechselseitige Freundlichkeit und Goodwill ändern nichts an fundamentalen Prinzipien und ihrer ganz praktischen Funktion. Wer soll für die alten Eltern sorgen, wenn Jay nach Deutschland entschwindet?

Amma & AppaInhaltlich steht viel auf dem Spiel in diesem Familienfilm – der endgültige Bruch mit den Eltern, den Jay vermeiden will, liegt ständig in der Luft. Aber formal gehen die beiden Filmemacher ihr Drama im Stil einer Komödie an. Franziska kommentiert das flott montierte Material aus dem Off, Jay steuert witzige Animationen bei, und das derzeit äußerst beliebte Kulturschock-Potenzial lassen sich die beiden Nachwuchsregisseure nicht entgehen. Köstlich, wie Jays Eltern sich Gedanken über den Speiseplan für die Deutschen machen, während im Gegenschnitt Christine und Albert die Reiseapotheke mit Magen-Darm-Mittelchen bestücken. Zum Glück übertreibt es der Film aber nicht mit den sich anbietenden Klischees. Sonst wäre aus dem Schwank um Sari und Dirndl, Dhoti und Lederhose eine bloße Klamotte geworden. Und zwar eine, in der die Tradition der arrangierten Ehe lediglich als Zielscheibe westlicher Überheblichkeit gedient hätte.

Stattdessen begeben sich Franziska Schöneberger und Jay Subramanian auf eine echte Entdeckungsreise. In den Interviews mit ihren Eltern erfahren sie Dinge, an die sie nicht im Traum gedacht hätten. Etwa als Christine und Albert in verblüffender Einigkeit erklären, dass sie ebenfalls nicht aus Liebe geheiratet hätten, sondern aus Vernunft. Das macht dem westlichen Zuschauer die Tradition der Zwangsheirat natürlich nicht sympathischer, aber es lenkt den Blick auf die emotionalen und – im Falle von Indien – vor allem auf die materiellen Voraussetzungen, die das Gelingen oder Scheitern einer Ehe neben dem Gefühl Liebe mitbestimmen.

Amma & AppaMit seinem radikalen Subjektivismus reiht sich „Amma & Appa“ in eine ganze Serie von Dokumentarfilmen ein, die in den letzten Jahren die Grenzen des Genres bewusst erweitert haben. Das hat natürlich auch seine Tücken. Aber abgesehen von der manchmal etwas zu naiven Erzählhaltung überzeugt die zunächst nur als Hochschulfilm gedachte Arbeit durch ihre schonungslose Offenheit. Wer so sehr bei sich bleibt, öffnet den Raum, in dem sich andere wiederfinden können. Das hat wohl auch den Bayerischen Rundfunk und dann die Berlinale überzeugt, dieser ebenso ernsten wie gutgelaunten Geschichte eine breitere Plattform zu bieten.

Vielleicht kann man einen Film wie „Amma und Appa“ nur einmal im Leben drehen. Nämlich dann, wenn man ganz am Anfang der Karriere steht und alle Protagonisten denken, das wird später sowieso nur in der Hochschule gezeigt. Belohnt wird diese Fehleinschätzung durch eine staunenswerte Intimität und eine ungekünstelte, dem echten Leben entspringende Heiterkeit.

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Amma & Appa

Länge: 90 min

Kategorie: Documentary

Start: 04.09.2014

cinetastic.de Filmwertung: (7/10)

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Info

Amma & Appa

Amma & Appa

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 90 min
Kategorie: Documentary
Start: 04.09.2014

Bewertung Film: (7/10)

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