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Wie der Wind sich hebt

Geschrieben von Peter Gutting am 10. Juni 2014

Wie der Wind sich hebt

Der Traum vom Fliegen hat hohes filmisches Potenzial – und doch bleibt der neue Film des Animations-Altmeisters Hayao Miyazaki erstaunlich bodenständig. Das hängt damit zusammen, dass sich die Fantasie des Filmemachers nicht, wie in den früheren Werken, frei aufschwingen kann. Weil er sich zum ersten Mal eine Filmbiografie vorgenommen hat, holen die realen Ereignisse die fantastischen Bilderwelten des Japaners immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Daran ändert auch nichts, dass sich die Geschichte um einen legendären Flugzeugbauer dreht.

Jiro Horikoshi heißt der Junge, dem der Film gleich in den ersten Einstellungen beim Träumen zusieht. Auf dem nächtlichen Dach seines Hauses steht die abenteuerliche Propellermaschine, die er hoch in die Lüfte steuert, mit der  er dann einem Fluss folgt und sich halsbrecherisch unter einer Brücke hindurchmogelt. Pilot kann Jiro jedoch nur in der Fantasie werden – die dicken Brillengläser sprechen für sich. Doch die fliegenden Kisten zu bauen, das liegt im Bereich des Möglichen. Und so haben die Träume, in denen Jiro dem italienischen Konstrukteur Giovanni Battista Caproni begegnet, schon mehr Aussicht auf Verwirklichung. Nach dem Ingenieurstudium steigt Horikoshi 1927 beim Flugzeugbauer Mitsubishi ein und entwickelt unter anderem ein Flugzeug, das später als Jagdfluzeug und Kamikaze-Bomber berüchtigt wird. Aber bevor sich die Selbstmord-Piloten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit der „A6M Zero“ in den Tod stürzen, endet die animierte Filmbiografie. Miyazaki möchte seinen Helden als Romantiker in Erinnerung behalten, nicht als Erfüllungsgehilfen der Kriegsmaschinerie.

Wie der Wind sich hebtTatsächlich wandelt der verträumte Jiro mit seinen großen, staunenden Augen durch die Welt wie manch andere Protagonisten aus dem erfolgsverwöhnten „Ghibli“-Studio des Japaners, der für Märchen wie „Prinzessin Mononoke“ (1997), Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) oder „Ponyo“ (2008) bekannt ist. Bedingungslos seiner eigenen Welt zu folgen, einer Welt voller Wunder – das zählt auch in dem neuen Film wieder zu den Stärken der handgezeichneten, betörend altmodischen Figuren. Wenn sich etwa Jiro in seinen Träumen mit Caproni trifft, dann schweben Meisterwerke des Flugzeugbaus über die Leinwand, mit dreifachen Tragflächen und gefüllt mit fröhlich feiernden Passagieren. In solchen Momenten scheint sie vollbracht, die von Miyazaki in fast allen seinen Filmen angedachte Versöhnung von Natur und Technik, von Mensch und Natur.

In der Wirklichkeit sind jedoch weder Natur noch Maschinen derart menschenfreundlich, wie die Szenen rund um das Erdbeben in Tokio von 1923 mit seinen mehr als 140.000 Toten und den verheerenden Bränden zeigen. Auch das will erzählt werden in „Wie der Wind sich hebt“, der zudem mit einer etwas zu süßlichen Liebesgeschichte aufwartet, die sich wohl mehr an die jüngeren Zuschauer wendet, selbst wenn es sich ingesamt um eine Animation für alle Altersstufen handelt. Literarische Anspielungen und philosophische Fragen machen die kindgerechte Erzählweise auch für ältere Semester spannend.

Wie der Wind sich hebtIm Unterschied zu seinen philosophischen Märchen fühlt sich Miyazaki, dessen Vater übrigens in der Flugzeugbranche tätig war, einigen Details verpflichtet, die vielleicht nicht jeder Zuschauer gleichermaßen spannend findet. Das führt durchaus zu dramaturgischen Durchhängern während der mehr als zwei Stunden Filmdauer, etwa wenn Jiro nach Deutschland reist, um mehr über die Technik der „Junkers“-Flieger zu erfahren. Oder wenn er mit seinem Freund und Kollegen über die Vorzüge bestimmter Tragflächen fachsimpelt.

Außerdem führt die fiktiv ausgeschmückte, aber doch auf realen Fakten basierende Nacherzählung eines Tüftlerlebens zu ganz handfesten Fragen: Dürfen sich Wissenschaft und Technik tatsächlich auf den Standpunkt zurückziehen, es gehe ihnen „nur“ um den Fortschritt und sie dürften ignorieren, was Politik und Militär daraus machen? Zwar zeichnen die Filmbilder den Krieg in klar erkennbar kritischer Absicht. Dennoch sagt es viel über den schwierigen Spagat zwischen Flieger-Romantik und Kamikaze-Wirklichkeit aus, dass sich der Regisseur zum Filmstart in Japan veranlasst sah, sich mit einem pro-pazifistischen Statement zu Wort zu melden. Was allerdings die befürchteten Kontroversen um die Botschaft des Films nicht verhindern konnte.

Auch wenn der 73-jährige Regisseur in seinem vielleicht letzten Film etwas Neues wagt: „Wie der Wind sich hebt“ zählt nicht zu den überragenden Arbeiten des Animationskünstlers. Seine Stärke liegt nicht in der historischen Rekonstruktion, sondern in der Freiheit der Fantasie. Zum Glück räumt er ihr auch in seiner Ingenieursbiografie noch genügend Raum ein. Deshalb wäre es wirklich schade, wenn Hayao Miyazaki seine Ankündigung auf dem letztjährigen Filmfestival in Venedig tatsächlich wahr machen würde, sich nun in den Ruhestand zurückzuziehen.

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Copyright: Universum Film

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Wie der Wind sich hebt

Länge: 126 min

Kategorie: Animation, Drama

Start: 17.07.2014

cinetastic.de Filmwertung: (6/10)

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Info

Wie der Wind sich hebt

Wie der Wind sich hebt

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 126 min
Kategorie: Animation, Drama
Start: 17.07.2014

Bewertung Film: (6/10)

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