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Only Lovers Left Alive

Geschrieben von Peter Gutting am 30. Oktober 2013

Only Lovers Left Alive

Wenn Jim Jarmusch einen Genrefilm dreht, dann darf man viel erwarten. Nur eines nicht: dass er sich von den ästhetischen Spielregeln der jeweiligen Gattung einengen ließe. Es verhält sich umgekehrt. Jarmusch drückt dem Genre seinen Stempel auf und schafft Rohdiamanten, die sich jeglichem nivellierenden Schliff entziehen. So geschehen bei „Dead Man“ (Western) und „Ghost Dog“ (Samurai-Film). Mit seinem Vampirdrama „Only Lovers Left Alive“ erfüllt der 60-Jährige die in ihn gesetzten Erwartungen wieder einmal auf das Schönste. Spielerisch und lässig wie in seinen besten Zeiten erfindet er die Blutsauger neu.

Dass sich Adam (Tom Hiddleston) und Eve (Tilda Swinton) von menschlichem Lebenssaft nähren, erfährt man erst nach einer Weile. Denn es ist nicht so wichtig zur Charakterisierung dieses Liebespaares, das eine Fernbeziehung führt. Wobei der Begriff „fern“ durchaus in modernen Dimensionen zu verstehen ist. Sie lebt in Tanger und er in Detroit. Das ist natürlich kein Zufall, denn die belesene Eve ist die Lebenslustigere der beiden, offen für die sinnlichen Reize und die mediterranen Genüsse in den engen Gassen der marokkanischen Hafenstadt. Rockmusiker Adam hingegen neigt zum Grübeln und zu düsteren Sounds, die wie geschaffen scheinen für die sterbende amerikanische Autometropole. Seine Schwermut wird jedoch zur Belastungsprobe für die innige, schon viele Jahrhunderte währende Liebe. Um den lebensmüden Unsterblichen aufzumuntern, nimmt Eve den nächsten Nachtflug über den Atlantik. Dort leben die beiden eine erfüllende Zweisamkeit – bis Eves leichtsinnige Schwester Ava (Mia Wasikowska) auftaucht, eine verzogene Göre, die so gar nichts von den zivilisatorischen Errungenschaften der Vampir-Kultur mitbekommen zu haben scheint.

Only Lovers Left AliveEs ist ernst gemeint und zugleich voller Augenzwinkern, wenn Adam, Eve und Eves väterlicher Freund Marlow (John Hurt) ihr erstes „Mahl“ zelebrieren. Sie nippen das Blut aus stilvollen Gläsern, langstielig und wie für edlen Likör gemacht. Dann geraten sie in ekstatische Verzückung, als hätten sie Drogen genommen. Nichts ist daran triebhaft oder animalisch, man lebt schließlich im 21. Jahrhundert. Und da ist aussaugen oder auch nur „umkehren“, also ein Genuss auf Kosten anderer, unter den verbliebenen Vampiren äußerst verpönt. Stattdessen besorgen sie sich den Lebenssaft für teures Geld in einem Krankenhaus oder aus anderen seriösen Quellen.

Adam und Eve haben mit dem menschlichen Sündenfall, mit der schleichenden ökologischen und mentalen Vergiftung, nichts am Hut. Wie die Engel in „Himmel über Berlin“ von Wim Wenders, bei dem Jim Jarmusch anfangs als Regieassistent arbeitete, sind sie Außenseiter, die aus der Distanz auf die Welt blicken. Durch ihr jahrhundertelanges Leben haben sie sich enormes Wissen und vielfältige Liebhabereien angeeignet – kulturelle Genüsse, die ihre Seelenverwandtschaft vertiefen. Und so lässt Jim Jarmusch diese Liebenden zu Adams Rockmusik kreisen – überblendet von einem sich drehenden Plattenteller-, lässt ihre Blicke sich verlieren an die Schönheit einzigartiger Gitarren und lässt sie durch das nächtliche Detroit gleiten auf einem Sightseeing-Trip der fantastischen Art. Weil die Museen zu Vampir-tauglichen Zeiten eh‘ geschlossen haben, entstehen vor dem geistigen Auge Gebäude, die längst abgerissen sind, wie etwa ein prachtvolles Theater mit 4.000 Plätzen.

Only Lovers Left AliveWie immer ist die äußere Handlung bei Jim Jarmusch dünn, und auch die Kompensationsmöglichkeiten des von ihm so geliebten Roadmovie stehen zu nachtschlafender Stunde nur im begrenzten Maße zur Verfügung. Also muss der Regisseur die Zuschauer alleine mit der inneren Spannung seiner Bilder und der von Jozef van Wissem beigesteuerten Filmmusik bei Laune halten. Und natürlich mit dem lakonischen Witz, der Jim Jarmusch offenbar in die Wiege gelegt wurde. So entsteht ein hochmusikalischer, ruhig und mit düsteren E-Gitarren vorangetriebener Reigen, der sich weniger an dem Fortgang eines äußeren Geschehens ergötzt als an der Fantasietätigkeit selber, an der Lust an Bezügen, Anspielungen und vor allem an musikalischen Verweisen, die bei Jarmusch eine lange Tradition haben. Dieses Mal zieht er unter anderem den Hut vor Gitarrist Jack White, der Psychodelic-Band „White Hills“ und der libanesischen Sängerin Yasmine Hamdan.

Sieben Jahre lang lag das Drehbuch für „Only Lovers Left Alive“ in Jim Jarmuschs Schublade. Zu risikoreich fanden es amerikanische Produzenten, sich mit der Independent-Ikone auf eine ungewöhnliche Variante des Vampirfilms einzulassen. Völlig zu Unrecht, wie sich zeigt. Mit Hilfe von deutschen und britischen Partnern und mit einer glanzvollen Besetzung mischt Jarmusch das Genre ebenso entspannt wie stilsicher auf. Eine Augenweide und ein Soundtrack, der allein das Eintrittsgeld wert ist.

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Only Lovers Left Alive

Länge: 123 min

Kategorie: Drama, Romance

Start: 25.12.2013

cinetastic.de Filmwertung: (8/10)

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Info

Only Lovers Left Alive

Only Lovers Left Alive

Geschrieben von Peter Gutting

Länge: 123 min
Kategorie: Drama, Romance
Start: 25.12.2013

Bewertung Film: (8/10)

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